In der Provinz verankert

geschrieben von Axel Holz

5. September 2013

Studie über Vorpommern warnt vor neuer Qualität ultrarechter
Strukturen

Jan.-Feb. 2010

Sehr hoch ist mit 17,5 Prozent der Anteil jener Anklamer, die der Aussage zustimmen, die NPD helfe, Probleme vor Ort zu lösen. In Neubrandenburg liegt der Zustimmungswert bei 2,4 Prozent. Umgekehrt würden in der Ostvorpommerschen Kreisstadt Anklam nur 57,7 gegen extremistisches Gedankengut eintreten. In Neubrandenburg sind es laut Studie 65,3 Prozent, im Durchschnitt der neuen Länder 78,4 Prozent.

Eine Studie der Universität Bielefeld weist Kommunalpolitikern eine hohe Verantwortung für das gesellschaftliche Klima in ihrer Stadt zu. Im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung haben die Bielefelder von November 2008 bis Februar 2009 insgesamt 2412 Telefon-Interviews mit Einwohnern von fünf ostdeutschen Städten geführt – darunter auch mit 499 aus der vorpommerschen Kreisstadt Anklam. Deren Bevölkerung ist offensichtlich wirtschaftlich stärker verunsichert und rechtsextremen Einflüssen stärker zugetan als in anderen Städten im Osten Deutschlands.

Generell sind die Autoren zu dem Ergebnis gekommen, dass der Grad menschenfeindlicher Einstellungen dann höher ausgeprägt ist, wenn sich lokale Verantwortungsträger nicht eindeutig gegen rechtsextreme Aktivitäten positionieren. 34,6 Prozent der Befragten sehen laut Studie die rechtsextreme NPD als »Partei wie jede andere auch«. Im nahen Hochschulstandort Neubrandenburg haben diese Auffassung von 311 Befragten nur 15,5 Prozent mitgetragen, bundesweit 13 Prozent. Mit Hilfe der Studie sollen Kommunalpolitikern Handlungsempfehlungen zur Auseinandersetzung mit der braunen Ideologie gegeben werden.

In Teilen Mecklenburg-Vorpommerns engagierten sich NPD-Leute mit viel Idealismus für ihre Sache, erläuterte Günther Hoffmann die Situation in Nordvorpommern. Der Rechtsextremismus-Experte berät die Landesregierung und zahlreiche Kommunen im nordöstlichen Bundesland. Seit 1999 engagiert sich der Johannes-Stelling-Preisträger bei der Initiative »Bunt statt braun«. Außerdem leitete er mehrere Jahre die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus in Anklam und war für das »Zentrum für demokratische Kultur« tätig.

Die NPD gebe auf kommunaler Ebene regelmäßig erscheinende Zeitungen heraus und informiere auf kontinuierlich gepflegten Internet-Seiten über ihre Arbeit. Die Strukturen der NPD würden zielgerichtet ausgebaut, Bürgerbüros eröffnet und Immobilien gekauft, erklärte Hoffmann. Während im Landtag die Arbeit in den Ausschüssen für die NPD hauptsächlich der Informationsbeschaffung diene, gingen in der Kommunalpolitik die NPD-Mandatsträger mittlerweile mit Sachkompetenz in die Ausschüsse.

Es gehe den Neonazis dabei um eine langfristige regionale Verankerung. Daher wurden Hoffmann zufolge auch die Kommunalwahlen im Juni 2009 genau vorbereitet: Die ersten Schulungen für Kandidaten habe es bereits im April 2008 gegeben. Die am besten geeigneten Leute wurden weiter qualifiziert, um damit Politik im Sinne der NPD machen können.

Hoffmann weist auf die besondere Situation in der Region hin. In den östlichen Teilen von Mecklenburg-Vorpommern sind seit der Kommunalwahl zwölf NPD-Mandatsträger aktiv. Von diesen zwölf werden acht über die NPD-Landtagsfraktion finanziert.

Hoffmann geht allerdings nicht den Schritt aufzuzeigen, dass sich in der legalen NPD-Arbeit die eigentliche Gefahr der Rechtsextremen zeigt, die in dieser Legislatur im Landtag allein mit sechs Millionen Euro ausgestattet sind. Dagegen fallen die wenigen hundert Tausend Euro Wahlkampfhilfe des verstorbenen NPD-Aktivisten Jürgen Rieger geradezu lächerlich aus. Tatsache ist, so schätzt auch Hoffmann ein, dass die meisten NPD-Kader Wahlkreismitarbeiter oder Mitarbeiter der Landtagsfraktion sind. Damit sei die NPD in Ostvorpommern die Partei, die über die meisten Vollzeitpolitiker verfüge. Diese kümmerten sich mittlerweile professionell um ihre Arbeit in den Ausschüssen und um die Öffentlichkeitsarbeit.

Hoffmann meint, es müssten möglicherweise ganz neue Strategien entwickelt werden, konnte diese aber nicht konkret benennen. Was sich anderswo bewährt habe, nämlich die komplette Ausgrenzung von Neonazis, das gehe in Vorpommern auf der kommunalpolitischen Ebene nicht mehr. Die Strukturen der Neonazis seien so weit fortgeschritten, dass sie bereits systemstabilisierend seien. In Dörfern mit einigen hundert Einwohnern würde ohne diese Strukturen gar nichts mehr gehen. Hoffmann verweist in diesem Zusammenhang auf die Feuerwehren. Zwar hatte Innenminister Lorenz Caffier mit einem Erlass die Kommunen bevollmächtigt, nur verfassungstreue Helfer in den Dienst der freiwilligen Feuerwehren aufzunehmen. Würde dieser Maßstab aber streng angewendet werden, so könnten einige Feuerwehren ihre Arbeit einstellen. Zum Umgang mit diesen Kräften hat Hofmann seine eigenen Erfahrungen gemacht. Es sei eine gefährliche Illusion zu versuchen, Neonazi-Kader für das demokratische System zu gewinnen. Die Stärkung demokratischer Strukturen und Aufklärung über Ideologie und Motivation der Neonazis seien jetzt angesagt, erklärte Hoffmann.