Mit Knarre und Dosensuppe

geschrieben von Thomas Willms

5. September 2013

Amerikas Konservative planen für den Zusammenbruch

Mai-Juni 2011

James Wesleys »Patriots – A novel of survival in the coming collapse«, 400 Seiten, Ulysses Press, 10,95 Euro

Kollabierende Währungen, Naturkatastrophen, ein Land ohne Strom, hilflose Regierungen – es gibt verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Man kann geduldig Schlange stehen (Japan), kollektiv Schwarzfahren (Griechenland), gegelte Medienmogule zum Ministerpräsidenten wählen (Italien) oder für die Anarchie planen (USA). Anarchie in den USA?

Die radikale Minimierung staatlicher Macht ist das Ideal eines Teiles des amerikanischen Konservatismus. Kommen dem Europäer die in den letzten zwei Jahren spektakulär aufgestiegene »Tea-Party-Bewegung« und ihre Repräsentantin und mögliche Präsidentschaftskandidatin, Sarah Palin, äußerst merkwürdig vor, empfindet der US-Amerikaner ihren Waffenfetischismus, ihren zur Schau getragenen Antiintellektualismus und ihre Sozialversicherungsfeindschaft als legitim, zumindest aber als nicht ungewohnt. Der radikalste Teil des Milieus, dem Palin ein Gesicht gegeben hat, hat sich von der Staatlichkeit längst verabschiedet und stellt sich auf einen kommenden Zusammenbruch unter dem Motto »Sei vorbereitet!« ein. Zahllose Internetseiten, Versandgeschäfte und Gebrauchsanleitungen für »Survivalists« legen Zeugnis davon ab.

Zusammenfassend kennenlernen kann man diese Welt z.B. in James Wesleys »Patrioten – Roman des Überlebens im kommenden Zusammenbruch«. Sein Werk ist allerdings schwer verdaulich. Der Autor konnte sich nicht recht entscheiden, ob er eine Dystopie, ein Erweckungsbuch, eine Survivalanleitung, ein paramilitärisches Trainingshandbuch oder eine Bürgerkriegsfantasie schreiben wollte. Staatstheoretiker der frühen Neuzeit hätten ihre Freude an seinem Gedankenexperiment primärer Vergesellschaftung. Wie finden sich Individuen, menschliche Raubtiere, die ausschließlich eigene Interessen verfolgen, zu einer Gruppe zusammen? Wie bestimmen sie ihre Beziehungen zu anderen Gruppen? Wie entsteht Recht?

Das Vorurteil von den praktischen Amerikanern bestätigt sich wieder einmal, denn was sich hier »Roman« nennt, findet als Graswurzelbewegung mehr oder weniger ausgeprägt längst statt. Die Weite des amerikanischen Kontinents, die leichte Verfügbarkeit von automatischen Waffen und die Schwäche des Zentralstaates erleichtern das Entstehen von »retreats«, getarnten Rückzugsorten. Man darf sich darunter verbunkerte Farmen mit großen Vorräten aller Art, insbesondere Waffen und Munition, vorstellen. Es ist ja nichts Illegales dabei, Stahltüren einzubauen und Suppendosen einzulagern. Das Ganze ist nichts für Leute ohne Geld, oder für Alte, Kranke, Behinderte, Kinder, Ausländer oder skrupelbehaftete Menschenfreunde. Wer sich nicht selbst helfen kann, soll ruhig vor den Toren der kleinen Festungen verrecken sobald der Strom ausfällt. »Selbst schuld!« würde Wesley sagen.

Seine insgesamt ermüdenden Auflistungen und Erörterungen sind im Einzelfall durchaus erhellend. Wer hat beispielsweise bis zur Einführung von E10 schon daran gedacht, dass Benzin ziemlich schnell schlecht wird? Wichtigster Gegenstand für die kommenden Desaster ist Wesley zufolge aber nicht das Schweizer Taschenmesser, sondern das Sturmgewehr. Es garantiere Freiheit. Man brauche es, um sein Territorium zu verteidigen, Plünderer (sprich Flüchtlinge) und Kommunisten zu töten und die neue Ordnung, einen neuen Staat zu begründen.

Denn natürlich läuft es darauf hinaus. Auch in Wesleys Vorstellungen ist das Leben nicht wirklich lebenswert ohne Gesellschaft. Er würde allerdings gerne die Ergebnisse des Bürgerkrieges von vor 150 Jahren oder die Entstehungsgeschichte der Verfassung revidieren. Was darf der Bundesstaat, was soll er und welche Macht kommt ihm zu? Möglichst wenig, ist die Ansicht der staatsfeindlichen amerikanischen Konservativen.

Beim Lesen des Bürgerkriegs-Schlussteiles – autonome Milizen vs. Bundesbehörden und deutsche UNO-Soldaten (!) – sollte man sich vor Augen führen, dass Terrorismus vor dem 11. September 2001 hauptsächlich ein inneramerikanisches Problem darstellte. Der Mordversuch an der demokratischen Senatorin Giffords in Januar zeigt, dass das Potential für solche Auseinandersetzungen nach wie vor vorhanden ist, sowohl ideologisch als auch materiell.