Rechte Gefahr in Ungarn

geschrieben von Ulrich Schneider

5. September 2013

Nur langsam entwickelt sich der Widerstand demokratischer Kräfte

Sept.-Okt. 2009

In Auswertung der Europawahlen wurde bereits auf das dramatische Wahlergebnis der ungarischen faschistischen Partei JOBBIK (14,77 Prozent, 3 Mandate im Europäischen Parlament) hingewiesen. Nicht allein dieses Ergebnis macht es notwendig, die ungarische Entwicklung genauer zu beobachten.

Die politische und wirtschaftliche Situation in Ungarn ist seit Monaten äußerst instabil. Dies liegt nicht nur an den Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise, sondern hat auch innenpolitische Ursachen. Drei Aspekte prägen diese Situation:

1. Der wichtigste Aspekt ist ohne Zweifel der massive Einbruch der Akzeptanz der regierenden Sozialdemokraten. Die Regierungspartei kam bei der Europawahl, an der sich nur ein Drittel der Ungarn beteiligte, zusammen mit ihrem Koalitionspartner auf nicht einmal 20 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Enttäuschung der Wähler ist verbunden mit einem wirtschaftlichen Niedergang Ungarns in den vergangenen Jahren, der sich insbesondere in einer Verarmung der ländlichen Regionen ausdrückt. Hinzukam eine Propagandaschlacht, bei der dem Regierungschef der Vorwurf gemacht wurde, er habe die Wähler bewusst belogen.

2. Diese Kampagne wurde durch die konservative Presse auf den Weg gebracht, durch die Oppositionspartei FIDESZ auf die Straße getragen und in gewalttätige Aktionen umgesetzt. Dabei ist den Politikern von FIDESZ in der Denunziation der gegenwärtigen Regierung faktisch jedes politische und rhetorische Mittel recht. Man greift auf nationalistische und reaktionäre Stereotypen zurück und ist offen für rassistische Positionen. Auf der Straße geht man offen Koalitionen mit der extremen Rechten ein. Als im März 2009 auf Initiative der FIDESZ mehrere tausend Menschen in Budapest gegen die ungarische Regierung demonstrierten, nahm die Polizei 35 Menschen vorübergehend fest, die versucht hatten zum Parlamentsgebäude vorzudringen. Zu den Verhafteten gehörten auch zwei Anführer rechtsextremistischer Gruppen, Gyorgy Budahazy und Laszlo Torockai (»Ungarische Garde«).

3. In diesem politischen Klima finden Ungarns Neofaschisten ihren Spielraum. Die »Ungarische Garde« agierte in den vergangenen Monaten zunehmend als offene Bürgerkriegstruppe. Aufmärsche in uniformierter Kleidung, Bürgerwehr-Aktionen in Stadtteilen mit Roma-Familien, Gewalt gegen Minderheiten – all das prägte das Auftreten der Garden. Allein in diesem Jahr gab es in Ungarn bei rassistischen Übergriffen gegen Roma-Familien acht Morde. Bei den meisten Tötungen ist der rechtsradikale Hintergrund bereits erwiesen. Anfang 2009 rang sich der ungarische Staat endlich zu einem Verbot der Garde durch. Doch davon scheinen die ungarischen Rechten wenig beeindruckt. Noch im März 2009 vereidigte die Garde bei einer öffentlichen Zeremonie auf dem Budapester Heldenplatz 650 neue Mitglieder – trotz angekündigten Verbots der Organisation. Vor allem erwartet sie nun, nach dem Erfolg des politischen Arms der Garde, der Partei JOBBIK, die 470.000 Wählerstimmen bei der Europawahl erhielt, neue Rückendeckung aus der Politik.

JOBBIK und die »Ungarischen Garden« sind Teil eines europäischen Netzwerkes neofaschistischer Organisationen. Schon 2007 reiste der NPD-Vorsitzende Udo Voigt zum »Tag der Ehre« (Ehrung der SS-Verbände, die im Frühjahr 1945 gegen die sowjetischen Truppen gekämpft hatten) nach Budapest, an dem sich jedes Jahr im Februar Neonazis aus ganz Europa treffen. Ungarische Neonazis waren in diesem Jahr im Februar in Dresden präsent. Im Juli 2009 marschierten über 2000 Anhänger der »Garde« mit internationalen Gästen gegen das Denkmal der sowjetischen Befreier von Ungarn in Budapest auf und im August 2009 fand ebenfalls in Budapest ein europaweiter Gedenkmarsch für Rudolf Hess statt.

Erfreulicherweise rührt sich nun auch in Ungarn gesellschaftlicher Widerstand. Er wird getragen von der MEASZ (Organisation ungarischer Widerstandskämpfer und junger Antifaschisten), von autonomen antirassistischen und antifaschistischen Gruppen und einem breiten gesellschaftlichen Bündnis, der Ungarischen Demokratischen Charta. Diese Gegenwehr zeigt sich auf der Straße – manchmal noch bescheiden, jedoch unterstützt durch Künstler und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Im Mai 2009 organisierte die Ungarische Demokratische Charta eine »Demonstration gegen Ausgrenzung und Hass«. Gemeinsam setzt man politische Signale, z.B. durch die öffentliche Erinnerung an den ungarischen Widerstandskämpfer Endre Sagvary im Juli 2009. Seit der Europawahl existiert eine Unterschriftenliste im Internet: »Nicht in meinem Namen: Jobbik schickt drei Abgeordnete ins EU-Parlament. Aber Krisztina Morvai, Zoltan Balczó und Csanád Szegedi repräsentieren mich nicht.« Bislang haben sich fast 6000 Menschen mit Namen und Bild dieser Erklärung angeschlossen. Auch das ist ein wichtiges gesellschaftliches Signal.

Die demokratischen Kräfte in Europa sollten diesen antifaschistischen Protest unterstützen. Die Gefahr einer extrem rechten politischen Weichenstellung in Ungarn ist größer, als manche glauben wollen.