Reisen wider das Vergessen

5. September 2013

Von Tinko Hempel, Zivilcourage vereint e.V.

Juli-Aug. 2011

Aus der Selbstdarstellung von Zivilcourage vereint e.V.

»Es geht unserem Verein um ein Lernen aus der Vergangenheit für das heutige Engagement gegen den wieder erstarkenden Rechtsradikalismus in Europa. Wir wollen mit unseren Reisen an die Orte antifaschistischen Widerstandes junge Leute erleben lassen, wie Menschen in der Vergangenheit mutig und solidarisch unter Aufopferung ihres Lebens für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit eintraten. Ihre Zivilcourage soll uns Vorbild sein für ein engagiertes, kraftvolles und vereintes Auftreten gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa. Dabei sollen die Jugendlichen Geschichte am Orte des Geschehens durch Zeitzeugen und damit aus erster Hand erfahren.«

Mehr Infos unter:

www.zivilcourage-vereint.de

Kürzlich fragt mich ein guter Bekannter, ob ich ihm Sehenswürdigkeiten in Barcelona empfehlen könne. Schließlich sei ich doch schon so oft dort gewesen und er kein Freund ausgetretener Touristenpfade. Ich zögere keine Sekunde: »Der Fossar de la Pedrera! Der Friedhof der Interbrigadisten!« entfährt es mir. Sofort habe ich wieder die Bilder vor Augen: In einem großen Steinbruch, einem Kessel gleich, zu Füßen steil abfallender Wände stehen ein paar Dutzend Grabsteine. Zypressen säumen das Rund und scheinen auch das kleinste Geräusch vom Innersten fern zu halten. Über dem Grabstein von Hans Beimler weht die Fahne der Spanischen Republik ihr Rot-Gelb-Violett in den Wind. Unter den wenigen Grabsteinen haben zigtausend Menschen, die ihr Leben für die Freiheit ließen, für den Kampf gegen Unterdrückung und Unmenschlichkeit ihre letzte Ruhe gefunden. Menschen, die wie kein zweites Mal in der Menschheitsgeschichte, unabhängig von ethnischer und sozialer Herkunft, von Alter und Geschlecht, gemeinsam gegen Unrecht und Barbarei kämpften – gegen den aufkommenden europäischen Faschismus. Das jugendliche Ungestüm, die Entschlossenheit, Heimat und Familie weit hinter sich zu lassen, um in ein unbekanntes Land zu reisen, dessen Sprache man nicht spricht, um an der Seite von Menschen zu kämpfen, die man nie zuvor gesehen hat, lässt das eigene Leben an diesem Ort unendlich klein erscheinen. Dass die Interbrigadisten – meist ohne Kampferfahrung, schlecht ausgerüstet und nicht selten zum ersten Mal an der Waffe – gegen Francos Truppen und ihre deutschen Verbündeten unterliegen, macht ihren mutigen Einsatz nur ruhmreicher.

Auch eines der bekanntesten Opfer des Francofaschismus liegt hier begraben: Lluís Companys. Er war keiner der weitgereisten jugendlichen Internationalen, sondern Präsident der »Generalitat de Catalunya«, als er sich im Oktober 1936 dem Putschisten Franco in den Weg stellte und den Staat Katalonien ausrief. Die Gestapo fasste ihn, lieferte ihn aus, und Companys wurde hier, am Fuße des Montjuïc, des Hausbergs Barcelonas, am 15. Oktober 1940 erschossen. Vor der Erschießung zog er sich Schuhe und Strümpfe aus, damit er im Sterben sein Heimatland berühren konnte. »No pasaran!«

Ich erfuhr von der Gedenkstätte, als ich im Oktober 2006 die Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik begleiten durfte, den 70. Jahrestag der Formierung der Interbrigaden in Barcelona zu begehen. Eher zufällig hatte ich mich an sie gewendet, um eine Jugendreise nach Katalonien zu organisieren. Es sollte die dritte Reise dieser Art werden. Zuvor waren wir bereits in Italien und Belgien. Immer auf den Spuren des antifaschistischen Widerstandes. Immer mit Jugendlichen diesseits der 30. Einen Teil der Reisegruppe gewannen wir stets durch einen Kreativwettbewerb, der bundesweit ausgelobt wurde, einen anderen Teil stellten verdiente linksaktive Jugendliche. Auslöser unserer Initiative war eine Reise von Jugendlichen nach Oradour sur Glane. DRAFD und verd.i waren 2004 auf der Suche nach Jugendlichen, die mitreisen wollten. Gesine Lötzsch – damals mit Petra Pau parlamentarische Alleinvertretung der PDS im Bundestag – unterstützte das Projekt finanziell. Später entschloss sie sich, diese Tradition der Gedenkreisen fortzuführen und gründete den Verein »Zivilcourage vereint«. Dank der Zuwendungen eines guten Dutzends Abgeordneter der Linksfraktion im Bundestag, einer Großspende der Brüder Mehlis aus dem Erbe ihrer Eltern, die aktive deutsche Antifaschisten waren, und weiteren Privatspenden reisten fortan jedes Jahr etwa 15 Jugendliche ins europäische Ausland an die Orte des antifaschistischen Widerstandes. Von Mazabotto (Italien) bis Mauthausen (Österreich), von Portbou (Frankreich) bis Breendonk (Belgien), von Distomo (Griechenland) bis Jasenovac (Kroatien), von Franja (Slowenien) bis Corbera (Spanien) haben wir Europa bislang bereisen können. Stets haben uns ortskundige Menschen ehrenamtlich bei der Organisation geholfen. Sie machten diese finanziell aufwendigen Studienreisen möglich. Sie besorgten kostenlose Unterkünfte, indem sie Bürgermeister für uns gewannen, öffneten uns Türen bis in Parlamente, führten uns an Orte, die kein Reiseführer kennt, und brachten uns mit Zeitzeugen und Legenden des antifaschistischen Widerstandes, wie Manolis Glezos, zusammen.

Über Studienreisen unser antifaschistisches Erbe pflegen, über einen Kreativwettbewerb Jugendliche gewinnen, die vorher nicht antifaschistisch organisiert sind, und sie mit denen, die es sind, zusammenzuführen, ist unser Ziel. 2011 findet seit sechs Jahren zum ersten Mal keine Reise statt – wir strukturieren um. 2012 soll es mit ganzer Kraft weitergehen. Finanzielle und organisatorische Unterstützung können wir dabei stets gebrauchen.