Tatsache oder Meinung?

geschrieben von Eberhard Reinecke, Rechtsanwalt

5. September 2013

Erneutes Verfahren des Kameradenkreises der Gebirgsjäger gegen Ulrich
Sander

Juli-Aug. 2009

Eberhard Reinicke vertrat und vertritt den Bundessprecher der VVN-BdA Ulrich Sander bei den wiederholten Verfahren, die der Kameradenkreis der Gebirgsjäger gegen ihn angestrengt hat. Er verweist darauf, dass sich im Presserecht seit einigen Jahren eine neue Art von Prozessführung breit macht. Oft wird nicht mehr um den Kern von Artikeln und Aussagen gestritten, sondern um einzelne Formulierungen. Obwohl die Partei, die die entsprechenden Prozesse anstrengt, damit in der Sache kaum etwas gewinnen kann, kann sie für die Journalisten eine erhebliche Kostenlast produzieren, oft verbunden mit einem Einschüchterungseffekt. Wenn einem an einem Artikel »die ganze Richtung nicht passt«, dann ist es meist aussichtslos, gegen die Richtung selbst etwas unternehmen zu wollen, weil dies regelmäßig in den Bereich der Meinungsfreiheit fällt. Es werden also meist einzelne Äußerungen gesucht, die manchmal nur etwas flüchtig oder unscharf formuliert sind, um daran einen Prozess aufzuhängen.

Gegenstand dieser Auseinandersetzung war der offene Brief der VVN-BdA an die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Bundeswehr, Frau Merten (veröffentlicht am 04.04.2009), konkret ging es lediglich um zwei Sätze aus der Einleitung bzw. dem offenen Brief selbst. Ulrich Sander hatte unter anderem geschrieben:

»Es wird darauf hingewiesen, dass der Kameradenkreis nicht nur die Kriegsverbrechen der ›NS-Gebirgstruppe‹ verharmlost und die Täter schützt, er ist nun auch dazu übergegangen, die Nichtverfolgung der Untaten als erforderlich für die heutige Kriegsführung der Bundeswehr und der NATO-Alliierten zu bewerten.«

Außerdem hatte Ulrich Sander geschrieben:

»Zudem klärten wir über das Wirken des Kameradenkreises der Gebirgstruppe e.V. auf, der aus dem Kreis der ›NS-Wehrmachtsangehörigen‹ heraus gegründet wurde und zahlreiche Kriegsverbrecher in seinen Reihen hatte, zum Teil bis heute.«

Gegen beide Äußerungen hat der Kameradenkreis versucht, eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Das Gericht hat diese einstweilige Verfügung nicht im schriftlichen Verfahren erlassen, so dass am 20.05.2009 eine mündliche Verhandlung beim Landgericht Nürnberg statt fand. Bezüglich der ersten Äußerung ist zunächst wichtig, was der Kameradenkreis dort für verbotswürdig hielt. Er hielt für verbotswürdig, dass er die Kriegsverbrechen der »NS-Gebirgstruppe« verharmlost, dass er Täter schützt und dass er die Untaten als erforderlich für die heutige Kriegsführung bewerte.

Bezüglich aller dieser drei Punkte haben die Richter in Nürnberg sehr deutlich zu erkennen gebeben, dass sie dies als Meinungsäußerungen ansähen, die nicht verboten werden könnte, da sie fernab jeder Schmähkritik sei. Eine lediglich formale Distanzierung des Kameradenkreises von dem Artikel von Generalmajor a.D. Reichardt (den Ulrich Sander in seinem offenen Brief an Frau Merten zitiert hatte) ließ das Gericht nicht gelten. Dies führte dazu, dass der Kameradenkreis bezüglich der ersten umfassenden Äußerung seinen Antrag zurückgenommen hat.

Bezüglich der zweiten Äußerung hat das Gericht zunächst deutlich gemacht, dass es nicht die Auffassung des Kameradenkreises teilt, dass Kriegsverbrecher nur solche Personen seien, die rechtskräftig von deutschen Gerichten verurteilt wurden. Allerdings war das Gericht der Auffassung, dass die Äußerung so verstanden werden müsste, dass auch bis heute noch zahlreiche, also zu mindestens deutlich mehr als zwei oder drei Kriegsverbrecher Mitglieder des Kameradenkreises seien; das Gericht hat ausdrücklich erklärt, dass es z. B. nicht ausreichend sei, dass solche Personen bei Feiern teilgenommen hätten. Es hat uns vorgehalten, dass wir ganz konkret hätten darstellen und beweisen müssen, welche heutigen Mitglieder des Kameradenkreises an welchen Kriegsverbrechen beteiligt gewesen seien und dass es dabei um mehr als ein oder zwei gehen müsse.

Nun ergaben sich aus den ausgewerteten Vereinszeitungen durchaus eine Reihe von Hinweisen aus den letzten 10 und 15 Jahren auf Mitglieder des Kameradenkreises, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Ob diese Mitglieder allerdings noch heute leben oder nicht, wussten wir natürlich nicht, wobei ja ohnehin fest steht, dass spätestens in ca. 5 bis10 Jahren keiner der Kriegsverbrecher mehr leben wird und daher auch nicht Mitglied im Kameradenkreis sein kann. Wir haben uns deshalb dafür entschieden, nicht um diesen Punkt eine weitere juristische Auseinandersetzung zu führen und eine Unterlassungserklärung dahin abgegeben, dass Ulrich Sander nicht mehr behaupten wird:

»Der Kameradenkreis habe zum Teil bis heute zahlreiche Kriegsverbrecher in seinen Reihen.«

Dies sagt weder etwas über die Vergangenheit aus, schon gar nicht aber etwas darüber, wie der Kameradenkreis mit der eigenen Vergangenheit und der vieler seiner früheren Mitglieder und Angehörigen umgeht. Es war etwas makaber, dass der Rechtsanwalt des Kameradenkreises, Herr Thesen, der einer der Verteidiger des Herrn Scheungraber vor dem Landgericht München ist, erklärt, der Kameradenkreis werde natürlich auch Kriegsverbrecher in seinen Reihen nicht dulden. Es würde interessant sein zu beobachten, wie der Kameradenkreis reagiert, falls Herr Scheungraber verurteilt wird oder wie er reagiert, wenn er z.B. deswegen freigesprochen wird, weil es sich nicht um Mord, sondern »nur« um Totschlag gehandelt hat und deswegen die Tat verjährt sei. Wir gehen davon aus, dass wir dem Kameradenkreis in der nächsten Zeit durchaus einige Hinweise für eine Selbstreinigung oder auch für eine kritische Betrachtung der eigenen Vergangenheit geben können.