„Zwa Braune im Weckla“

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Das fränkische Gräfenberg wehrt sich erfolgreich gegen
Nazi-Attacken

März-April 2008

Erklärung des Bürgerforums Gräfenberg zum neuen Versammlungsgesetz-Entwurf der Bayerischen Staatsregierung:

„Die Einschränkung von Grundrechten ist nach Auffassung des Bürgerforums Gräfenberg kein geeignetes Mittel gegen Rechtsextremismus, Fremdenhass und Intoleranz. Damit tritt das Bürgerforum entschieden dem von politischer Seite erweckten Eindruck entgegen, dass der Entwurf zu einem neuen bayerischen Versammlungsgesetz den Zielen des bundesweit beachteten Widerstands der Gräfenberger Bürger gegen rechtsradikale Aufmärsche in ihrer Stadt Rechnung tragen könnte.

Als parteiübergreifender Schulterschluss der demokratischen Basis der Bürgerschaft setzt sich das Bürgerforum Gräfenberg für eine offene und friedliche Gesellschaft und für die uneingeschränkte Geltung aller Menschen-, Grund- und Bürgerrechte ein. Den exzessiven Missbrauch solcher Rechte durch radikale Minderheiten dadurch zu bekämpfen, dass diese Rechte für alle Bürger beschnitten und eingeschränkt werden, halten wir für einen falschen und gefährlichen Ansatz.

Für unsere Stadt Gräfenberg und für alle anderen Kommunen, die durch ständige rechtsextremistische Aufzüge und Versammlungen seit Jahr und Tag terrorisiert werden, verlangen wir ein Verbot der NPD als politischer Leitbewegung dieser Umtriebe, so wie es demokratische Kräfte in diesem Land seit langem fordern. Und wir erwarten, dass die Politik dazu endlich die rechtlichen Voraussetzungen schafft, nachdem ein NPD-Verbot bisher allein an der massiven Infiltration dieser Organisation durch Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gescheitert ist.“

„Zwa Braune im Weckla“ sind zwei Würstchen in einem Brötchen. Sie werden mit Senf gereicht. Im oberfränkischen Gräfenberg vor allem bei demokratischen und antifaschistischen Volksfesten, die es dort inzwischen oft gibt. „In Franken dürfen nur die Bratwürscht braun sein“, heißt es an den Wurstständen.

Die kleine Stadt Gräfenberg liegt im Städtedreieck zwischen Bayreuth, Bamberg und Nürnberg. In den gut erhaltenen mittelalterlichen Ortskern führen alte Stadttore, auf einem großen Brunnen im Zentrum steht eine Ritterfigur. Sie erinnert an den berühmtesten Sohn der Stadt, den Minnesänger Ritter Wirnt von Grefenberc, der um das Jahr 1170 ein Epos mit nahezu 12.000 mittelhochdeutschen Versen verfasst hat. Gräfenberg versteht sich selbst als „Eingangstor“ zum landschaftlich beeindruckenden Erholungs- und Tourismusgebiet Fränkische Schweiz.

All das und noch einiges mehr zur Stadtgeschichte und zur Lage des Ortes ist zu erfahren, wenn man sich im Internet auf die Suche nach dem nordbayerischen Ort macht. Damit aber nicht genug. Auf der Homepage des Städtchens (www.graefenberg.de) kann man auch eine „Gräfenberger Menschenrechts- und Demokratieerklärung“ anklicken. Das ist dann doch nicht ganz so üblich für die Selbst- und Außendarstellung einer Gemeinde in Bayern. Ebenso wenig wie Transparente für Toleranz und gegen Nazis, die man nicht selten an Stadttoren und Häuserwänden findet, besucht man Gräfenberg nicht virtuell im Internet sondern ganz real.

Gegen Monatsende kann es einem da das ganze Jahr über passieren, dass man in einen Ort kommt, in dem viele auf den Beinen sind: Einwohner, Besucherinnen und Besucher aus der näheren und weiteren Umgebung, die diesen zur Seite stehen wollen, ein Trupp Neonazis und – nicht zu vergessen – Polizeikräfte, die diesem Trupp gewisse Bewegungsfreiheiten garantieren müssen, weil das angeblich die Gesetze so vorschreiben.

Weit über fränkische und bayerische Grenzen hinaus sind die Stadt und das Bürgerforum Gräfenberg, das sich dem Engagement „für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“ verschrieben hat, inzwischen bekannt geworden. Leisten sie doch seit über einem Jahr permanent Widerstand gegen monatliche Neonazi-Attacken auf ihre Gemeinde. Mit viel Phantasie, Witz und Begeisterungsfähigkeit.

Die Vorgeschichte: Neben den erwähnten Sehenswürdigkeiten gibt es auf einem Hügel über den Dächern Gräfenbergs auch noch ein Kriegerdenkmal. Es ist nicht schön, aber groß und überragt Stadt und Landschaft. Erstmals im November 1999 hatten sich Faschisten aus dem Umfeld von NPD, Jungen Nationaldemokraten und Kameradschaften dieses weithin sichtbare Mahnmal als Ort für eine völkische „Heldengedenkfeier“ ausgesucht.

Nachdem ein Jahr später das Mahnmalgelände, das zuvor in städtischem Besitz war, an einen neu gegründeten Verein verpachtet worden war, konnte der Zugang der unerwünschten Gäste auf das nunmehr private Terrain unterbunden werden. Die braune Feier musste am Fuße der Treppe zum Denkmal stattfinden. Die Nazis waren beleidigt, behielten ihre November-Aufmärsche in den folgenden Jahren aber bei – meist unter Polizeischutz und mit Gegendemonstrationen von GräfenbergerInnen und Antifaschisten aus dem Umland konfrontiert. Der Weg hinauf zum Kriegerdenkmal aber blieb ihnen verwehrt.

Ab November 2006 änderten die NPD und ihre Parteigänger die Strategie. Unter dem Slogan „Denkmäler sind für alle da“ kündigten sie für die Zukunft monatliche Aufmärsche an. Die Forderung nach einem Zugang zum Kriegerdenkmal erwies sich bald nur noch als Vorwand für das eigentliche Ziel: das Terrorisieren einer Gemeinde und all der Menschen, die es dort gewagt hatten, sich den Nazis beim von diesen propagierten „Kampf um die Straße“ entgegen zu stellen und sie an der Durchsetzung ihrer Projekte zu hindern. Seither sieht sich Gräfenberg mit monatlicher Regelmäßigkeit der faschistischen Heimsuchung ausgesetzt.

Das Bürgerforum Gräfenberg gründete sich ebenfalls im November 2006. Bei der fränkischen Regionalkonferenz der VVN-BdA am 26. Januar 2008 in Gräfenberg berichtete einer der Initiatoren des Forums, Michael Helmbrecht, über Entstehung, Zusammensetzung und Ziele des Bürgergremiums, dessen Kern aus rund 60 bis 70 Aktiven besteht. Wichtig sei, dass es gelungen sei, Bürgerinnen und Bürger quer durch alle Schichten und politischen Lager für Aktivitäten gegen die Naziaufmärsche zu gewinnen. Unter ihnen auch Gräfenbergs Bürgermeister Werner Wolf von den Freien Wählern, die stellvertretende Bürgermeisterin Sigrid Meier, SPD, (die der VVN-Konferenz die Grüße der Stadt überbrachte) und die Ortsvorsitzenden von CSU und SPD.

Über die anzustrebenden Ziele war man sich im Bürgerforum bald einig:

„- Mit gewaltfreien, demokratischen und kreativen Mitteln gegen jede Form der Verherrlichung von Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und antidemokratischer Ideale einzutreten.

– Entwicklung eines breiten bürgerschaftlichen Engagements und Entfaltung eines regionalen Dialogs über die Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten in einer pluralistischen Gesellschaft.

– Gesicht zeigen für eine tolerante, demokratische Gesellschaft.

– Erhalt des guten Rufes Gräfenbergs, Imageverluste und wirtschaftliche Nachteile abzuwehren; die Gegenwehr Gräfenbergs gegen Rechtsextremismus positiv fruchtbar zu machen und Gräfenberg als demokratische, bunte Stadt profilieren.

– Jugendliche vor der Vereinnahmung durch die Rechtsextremen schützen.“

Gräfenberger Menschenrechts- und Demokratieerklärung

„Wir wenden uns entschieden gegen alle Formen des Rechtsextremismus in der Stadt Gräfenberg, im Landkreis Forchheim und darüber hinaus. Wir verurteilen jene Formen politischen Denkens und Handelns, die Mitbürgerinnen und Mitbürger aufgrund ihrer Abstammung, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts oder ihrer religiösen Orientierung zu Bürgern zweiter Klasse erklären.

Wir treten entschieden ein für die Respektierung der Menschenrechte und den Schutz der demokratischen Grundprinzipien. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen in unserem Land friedlich und in wechselseitigem Respekt voreinander zusammenleben können. Die Gräfenberger Menschenrechts- und Demokratieerklärung wurde am 3. Oktober 2007 auf dem Marktplatz in Gräfenberg vorgestellt. Zu den Erstunterzeichnern gehören der Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg Dr. Ulrich Maly, Arno Hamburger, der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und auch die Menschenrechtspreisträgerin 2007 der Stadt Nürnberg, Frau Eugenie Musayidire. Die Mitglieder des Stadtrates Gräfenberg haben in der Sitzung vom 18. Oktober 2007 diese Erklärung ebenfalls unterschrieben.

Alle Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen die Menschenrechts- und Demokratieerklärung ebenfalls zu unterzeichnen. Im Bürgerbüro der Verwaltungsgemeinschaft Gräfenberg liegen entsprechende Formulare auf.“

Einig war man sich aber auch, dass es kaum möglich sein werde, Monat für Monat mit „traditionellen“ Ritualen (genehmigte Nazidemo, Polizeikette, Protestierende, die hilflos dagegen anschreien) den Widerstand am Leben zu erhalten. Beim Entwickeln kreativer und phantasievoller Projekte orientierten sich die Gräfenberger an Erfahrungen von Bürgerrechtsbewegung in den USA: „Die Dunkelheit kann man nicht mit Dunkelheit bekämpfen, sondern nur mit Licht“ (Martin Luther King). Weshalb eine Orientierung hieß: „Widerstand ist möglich, notwendig, sinnvoll“ – ergänzt um die Maxime: „Widerstand muss Spaß machen.“

Nachdem juristische Verbote der Aufmärsche nicht durchzusetzen waren, begann man in Gräfenberg, die Nazis, ihr hohles Pathos, ihre Geschichtslügen und ihre Menschenfeindlichkeit bloßzustellen. Manchmal gelang es, ihnen das Wort zu nehmen. Wollten die Nazis Reden schwingen, besann man sich auf einen „alten Ortsbrauch“: Das „Gräfenberger Holzsägen“, bei dem quer durch die Stadt Kreis- und andere Sägen einen ohrenbetäubenden Lärm verursachten. Auf ähnliche Effekte setzte man mit „demokratischen ErLÄUTerungen“ (mit allerlei Glocken) oder einer Aktion „Demokraten geben hier den Takt an“ (mit Samba-Gruppen, Landknechtstrommeln, Kochgeschirr und ähnlichem).

Auch das gab es: An einem Rednerpult schwadronierte ein NPD-Mann, hinter ihm erschienen plötzlich auf einer großen Leinwand Foto-Projektionen von NS- und Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg. Oder das: Ein brauner Aufmarsch wurde von vielen Menschen mit Fotoapparaten und Blitzlicht empfangen. Auf Plakaten war zu lesen „Wir lassen Nazis abblitzen.“

Beim Bürgerforum (www.graefenberg-ist-bunt.de) werden noch viele weitere originelle Projekte diskutiert. Oft geht es aber auch sehr ernsthaft zu, es gibt inhaltliche Diskussionen, Fortbildungsveranstaltungen, Kommunikation mit Nachbargemeinden und -Landkreisen, Initiativen, Gruppen und Parteien. Und man nimmt öffentlich Stellung. Soeben mit einer Kritik des Bürgerforums am geplanten bayerischen Versammlungsgesetz. Die Staatsregierung hatte bei der Vorstellung des Entwurfes ausdrücklich auf Gräfenberg und andere von Nazis geplagte Orte hingewiesen – um damit beabsichtigte Einschränkungen des Demonstrationsrechts zu begründen. Aus Gräfenberg gibt es Widerspruch. (Siehe den Wortlaut der Erklärung im ersten Kasten).