Um die Würde des Menschen

9. September 2013

Beschwerde des Türkischen Bundes bei der UNO eröffnet neue
Perspektiven

Juli-Aug. 2013

Der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) ist ein Dachverband, in dem sich zur Zeit 30 Organisationen und 75 Einzelpersonen zusammengeschlossen haben. Darunter das Berliner Ensemble für klassische türkische Musik und die Berliner Gesellschaft Türkischer Mediziner, der FC Malatyaspor, der Schwarzmeer Kultur- und Umweltverein, der Türkische Behinderten-, Alten- und Rentnerverein, der Verein Berliner Sozialdemokraten und die Türkische Gesellschaft für soziale und politische Lösungen. In der Präambel der Satzung des Bundes steht:

»Wir, Türkeistämmige Menschen, sind uns bewusst, dass wir die Zukunft in Berlin und in der Bundesrepublik Deutschland als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft mitgestalten werden. Wir setzen uns in unserer vielfältigen Gesellschaft für die Akzeptanz und Wertschätzung unterschiedlicher Identitäts- und Lebensentwürfe ein. Allen Formen des Rassismus und jeglicher Diskriminierung auf Alltags-, institutioneller und struktureller Ebene treten wir entschieden entgegen. Mit dieser Vereinigung wollen wir auf rechtlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene unsere (Minderheiten-)Rechte einklagen sowie Chancengleichheit und Teilhabemöglichkeiten in allen Lebensbereichen einfordern.«

Der TBB hat, ganz im Sinne dieser Aufgabenstellung, der deutschen Demokratie einen großen Dienst erwiesen. Als im Herbst 2009 Thilo Sarrazin zunächst in einem Interview mit der Zeitschrift Lettre International seine rassistischen Thesen über Türken und Araber zum Besten gab, die er später in seinem Buch »Deutschland schafft sich ab« wiederholte, zeigte ihn der TBB wegen Volksverhetzung und Beleidigung an. Die Berliner Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren jedoch mit der Begründung ein, Sarrazins Thesen seien zwar zu missbilligen, aber nicht strafbar und vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Der TBB ließ es dabei nicht bewenden. Nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges wandte er sich mit einer Beschwerde an den Antirassismus-Ausschuss der UNO.

Der Ausschuss entschied am 4. April 2013 nach Anhörung beider Seiten und Prüfung der Sachlage, dass die BRD in der Tat mit der Nichtverfolgung von Sarrazins Äußerungen die Internationale Konvention zur Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung (Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, CERD) verletzt hat. Die Bedeutung dieser Entscheidung würdigte TBB-Sprecher Hilmi Kaya Turan am 18. April in einer Pressemitteilung: »Dies ist eine historische Entscheidung. Der CERD-Ausschuss hat festgestellt, dass die Äußerungen Herrn Sarrazins auf einem Gefühl rassischer Überlegenheit oder Rassenhass beruhen und Elemente der Aufstachelung zur Rassendiskriminierung enthalten. Der CERD-Ausschuss hat festgestellt, dass trotz vorhandener gesetzlicher Bestimmungen die Umsetzung der Bestimmungen des Übereinkommens in der Bundesrepublik in der Praxis unzureichend ist.«

Dem TBB ist dafür zu danken, dass er uns mit der Nase darauf gestoßen hat, dass es eine solche UNO-Konvention zur Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung gibt und dass die Bundesregierung sich mit der Ratifizierung dieser Konvention verpflichtet hat, deren Bestimmungen um- und durchzusetzen. Rassendiskriminierung (worunter »jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung« verstanden wird) fällt gemäß der Konvention nicht unter freie Meinungsäußerung, sondern ist ein strafwürdiges Verbrechen.«

Der CERD-Ausschuss weist in seinem Beschluss auch auf die Artikel der Konvention hin, in denen sich die Vertragsstaaten verpflichten, jede Rassendiskriminierung zu verbieten und mit allen geeigneten Mitteln zu beenden, jede Anstachelung zur Rassendiskriminierung zu unterbinden und jeder Person wirksamen Schutz gegen derartige Angriffe zu gewährleisten.

In Anwendung dieser internationalen Übereinkünfte sollte es selbstverständlich sein, dass Organisationen wie die NPD, deren gesamte Tätigkeit auf einer Programmatik der Ungleichheit und Ungleichberechtigung der Menschen beruht, illegal und zu verbieten sind – unabhängig von der Zahl der darin wirkenden V-Leute des Verfassungsschutzes und ebenso unabhängig davon, ob sie stark genug sind, um eine Gefahr für den Staat darzustellen. Es geht nicht um den Staat, sondern um die Würde des Menschen. In den Diskussionen um angebliche Voraussetzungen beziehungsweise Hindernisse für ein NPD-Verbot scheint das manchmal vergessen zu werden. Der TBB hat wirksam daran erinnert, was geltendes Recht ist und welche Instrumente zu seiner Umsetzung vorhanden sind und genutzt werden können.