Von Gurlitt und anderen

geschrieben von Ernst Antoni

10. Januar 2014

Ein »Kunstfund« erinnert ans profitable Raubmorden

 

Eine Kunst-Geschichte? Das auch. Aber viel mehr noch ist es eine Geschichte von Beziehungen und Geschäften. Von einem Raubmörder-Staat, von dessen Protagonisten und Stützen, Helfern und Handlangern. Nicht wenige davon fanden sich, nachdem eine Antihitler-Koalition dem Staat den Garaus und dem Zweiten Weltkrieg ein Ende gemacht hatte, rasch wieder in Netzwerken zusammen. Und besetzten bald in der jungen Bundesrepublik Deutschland wichtige Terrains in Wirtschaft, Verwaltung, Politik. Und auch in Medien, Kultur- und Kunstbereichen.

»Schwabinger Kunstfund«: So lautet die offiziöse Sammelbezeichnung für das, was seit November vergangenen Jahres, verbunden mit dem Namen Gurlitt, Begriffe wie »NS-Raubkunst«, »Beutekunst« und noch speziellere wie »Provenienz« oder »Restitution« in Medien-Diskussionen brachte. Nicht nur in Feuilletons, sondern auch in eher kunstfernen Winkeln.

Losgetreten wurden alles durch das Öffentlich-Werden einer bereits länger zurückliegenden staatsanwaltschaftlichen Aktion. Eine stattliche Kunstsammlung war in einer Münchner Wohnung konfisziert worden. Es ging um den Verdacht der Steuerhinterziehung, betroffen war der über 80jährige Nachkomme und Erbe der Galeristen-Familie Gurlitt, der die Bilder in seiner Wohnung aufbewahrte. Ab und zu, so der bisherige Erkenntnisstand, soll er das eine oder andere Werk aus diesem Fundus veräußert haben. Manchmal für beachtliche Summen.

Fokussierte sich das anfängliche Medieninteresse noch sehr auf diesen Cornelius Gurlitt und sein etwas eigentümliches Leben mit den ererbten Bildern, kam es dann doch schnell zu einer Verlagerung des Interesses auf den verstorbenen Vater Hildebrand Gurlitt. Und auf dessen Wirken von der Weimarer Republik über die NS-Zeit bis hinein in die Mitte der 50er-Jahre der Bundesrepublik.

Konkret liest man zu dem »Kunstfund« unter www.loststart.de: »Im Frühjahr 2012 wurde in München-Schwabing im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen und auf Grundlage eines richterlichen Beschlusses eine umfangreiche private Kunstsammlung beschlagnahmt. Abzüglich beschlagnahmter Gegenstände, die keinen Bezug zur sog. ›Entarteten Kunst‹ oder zu ›NS-Raubkunst‹ besitzen, sind rund 970 Werke wissenschaftlich auf ihre Herkunft zu überprüfen. Ca. 380 dieser Werke konnten bislang dem Beschlagnahmegut der nationalsozialistischen ›Aktion Entartete Kunst‹ zugeordnet werden. Es handelt sich hierbei also um Objekte, die von den Nationalsozialisten in erster Linie aus öffentlichen Sammlungen und Museen entfernt worden waren.«

Hildebrandt Gurlitt – als Förderer zeitgenössischer Kunst in der Weimarer Republik Museumsdirektor in Zwickau, Lehrender an der Dresdener Kunstakademie, dann Direktor des Hamburger Kunstvereins, von den Nazis damals wegen der von ihm bevorzugten Kunst durchaus angefeindet – wird nach deren Machtübernahme und im Zuge der deutschen Eroberungsfeldzüge einer ihrer wichtigen Kunsthändler. Als »entartet« definierte gestalterisch oder politisch missliebige Werke der »Moderne« lassen sich devisenbringend ins Ausland verkaufen, ebenso nicht gewünschte Kunst aus »arisierten« Beständen. Angekauft wird aus diesen Beständen, weit unter Wert, von Gurlitt und Kollegen in Frankreich und anderen besetzten Ländern traditionelle, »klassische« Kunst, die dereinst nach Kriegsende im Rahmen des »Sonderauftrag Linz« Hitlers dort geplantes Renommier-Museum schmücken soll.

Wie sich inzwischen an einigen Beispielen nachweisen ließ, wächst in diesem Umfeld auch die private Sammlung des Händlers Hildebrandt Gurlitt, der es nach 1945 versteht, letztlich die US-Besatzungsoffiziere an den »Collecting Points« für eventuelle NS-Raubkunst von seiner Lauterkeit zu überzeugen. Als »Retter« moderner Kunst, als selbst von den Nazis Verfemter, nicht zuletzt wegen einer jüdischen Großmutter. Einem Neuanfang steht bald nichts mehr im Wege. 1948 wird Gurlitt Direktor des Kunstvereins in Düsseldorf, versteht sich dort mit der Wirtschaftselite an Rhein und Ruhr, ist international aktiv in Sachen »klassische Moderne« und bringt gerne auch Werke aus seiner Sammlung ein. 1956 stirbt er bei einem Autounfall.

Im Zuge der »Provenienz«-, also Herkunftsforschung, die nicht nur bei »lostart.de«, sondern auch in einigen Medien eingesetzt hat, werden inzwischen vielfältig Zweifel laut, einzelne Bilder betreffend. Und immer deutlicher tritt zutage, wie eingespielte Bekannte aus »Sonderauftrag-Linz«-Tagen zumindest in den 50er-Jahren in Kunstmarkt und -publizistik neue Spiele spielten. Modern jetzt, weltoffen und wiederum profitabel. Restitutions(Entschädigungs-)fragen stehen nun im Raum. Schade wäre es, bei aller Wichtigkeit, wenn über diesen wieder einmal die Analyse historisch-politischer Zusammenhänge vergessen würde.