Gedenkorte in Europa

geschrieben von Christoph Jetter

13. Mai 2014

Ein Internet-Reisebegleiter zu Orten deutscher Kriegsverbrechen

 

Die Länder Europas entwickelten sich nach dem Zweiten Weltkrieg und nach den Jahrzehnten des Kalten Krieges – wenn wir von den Balkankriegen nach der Zerschlagung Jugoslawiens in den 1990er Jahren einmal absehen – zu einem Kontinent weitgehend friedlichen Zusammenlebens. So geht die gängige, inzwischen oft schon beschwörende Erzählung über den Verbund der in der EU verei-nigten Nationalstaaten, nachdem ganze Länder und deren Bevölkerung auf dramatische Weise von den Folgen neoliberaler Politik und rücksichtslosem Finanzkapitalismus erschüttert werden. Hinzu kommt: Regierungen und Institutionen dieses Euro-pa missachten seit Jahren mit rigider Abwehr von Flüchtlingen fundamentale Menschenrechte, während in fast allen EU-Staaten Fremdenfeindlichkeit zunimmt, meist im Zusammenspiel mit dem Aufschwung rechtsradikaler und nationalistischer Gruppierungen.

Das Europa dieser Gegenwart bleibt jedoch auch 70 Jahre nach der Niederwerfung des deutschen und italienischen Faschismus immer noch gezeichnet von den Verwüstungen, die Nazideutschland während des Eroberungskrieges 1939-1945 in den damals besetzten Ländern hinterlassen hat. Die den Völkern, ihrer Kultur, ihrer Wirtschaft und den Menschen dieser Nachbarländer zugefügten Wunden sind längst nicht verheilt, auch wenn das erlebte Grauen Jahrzehnte zurück liegt. Oberflächlich vielleicht verheilt, schmerzen die Wunden und deren Missachtung durch die frühere Besatzungsmacht Deutschland nach wie vor, wie die Berichterstattung zum Besuch des deutschen Bundespräsidenten im nordgriechischen Dorf Lyngiades wenigstens ein paar Tage lang erahnen ließ. Das erlittene Unrecht, die Auslöschung ganzer Familien und Dörfer bleiben vor Ort im kollektiven Gedächtnis eingegraben. Reisende aus Deutschland allerdings nehmen diese Schreckensorte selten wahr, auch wenn deren Namen und Geschichte bisweilen die öffentliche Aufmerksamkeit erreichen – das französische Oradour sur Glane oder Distomo in Griechenland, beide vor 70 Jahren, am gleichen 10. Juni 1944 niedergemacht, Marzabotto bei Bologna, die Ardeatinischen Höhlen bei Rom.

Die »kleinen« oder auch »großen« Orte deutscher Kriegsschandtaten – ein Weiler im Apennin, ein Städtchen in der Bretagne – erfahren allenfalls per Zufall die Aufmerksamkeit von Besuchern oder von Medien. In den ehemals okkupierten Ländern hingegen wird an vielen Gedenkorten, in lokalen Museen und in nationalen Gedenkstätten der Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht gedacht. Sie erinnern an Lager, Deportationen, Zwangsarbeit und Massaker an der Zivilbevölkerung, sie erinnern an den unter schweren Opfern geleisteten politischen und militärischen Widerstand, der wesentlich zur Befreiung beigetragen hat.

Die vom »Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945« (Frankfurt am Main) im Januar 2013 publizierte, seither mehrfach erweiterte Homepage »Gedenkorte Europa 1939-1945« (www.gedenkorte-europa.eu) wurde durch finanzielle Förderung der Otto-Brenner-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, nicht zuletzt durch private Spenden ermöglicht. Sie will – beginnend mit Frankreich und Italien – Reisende auf möglichst viele dieser Orte, auf die Kriegsverbrechen und den Widerstand von damals aufmerksam machen. Neben bekannten Namen nennt das Internetportal inzwischen über Tausend Gedenkorte. Eine Erweiterung um die ehemals besetzten Länder Griechenland, Litauen und Polen ist in Vorbereitung.

Eine interaktive Landkarte und Wegbeschreibungen erleichtern den Besuch auch abgelegener Orte. Mehrere hundert Kurzbiografien von Widerstandsangehörigen, von Opfern und Tätern und ausführliche Sachstichworte erschließen einen zusätzlichen Zugang zur Geschichte der Okkupationsjahre während des Zweiten Weltkriegs. Dem Land und den einzelnen Gedenkorten zugeordnete Literatur- und Medienhinweise ermöglichen vertiefte Informationen.