Weißwaschung widerlegt

geschrieben von Anne Allex

21. November 2016

Die Firma Salamander war Profiteurin des Naziregimes

Vera Friedländer liefert eine spannende und faktenreiche Auseinandersetzung mit der Firmengeschichte von Salamander in Kornwestheim (Baden-Württemberg). Aus den Schriften des Stadt- und Firmenhistorikers Hanspeter Sturm befördert sie unter Falschdarstellungen, Fehlinterpretationen und Auslassungen die tatsächliche Entwicklung des Unternehmens Salamander zwischen 1933 und 1945 ans Tageslicht. Hierbei nutzt sie Bücher von Anne Sudrow (Der Schuh im Nationalsozialismus), Petra Bräutigam (Mittelständische Unternehmen im Nationalsozialismus) und eigene recherchierte Quellen.

Vera Friedländer: Ich war Zwangsarbeiterin bei Salamander, Verlag Das neue Berlin, Eulenspiegel Verlagsgruppe, Berlin, 2016, 14,99 EUR Als aufsteigender Schuhproduzent war Salamander maßgeblich an der Testung von Ersatzstoffschuhen im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg beteiligt. 1940 wurde dazu die berüchtigte »Schuhläuferstrecke«, eine halbrunde Laufbahn von 700 Metern mit 8-10 m Breite und abwechselnden Belägen eingerichtet. Unterernährte Häftlinge mussten dort täglich elf Stunden lang mit 15-30 kg Gepäck auf dem Rücken bis zu 40 Kilometer schnell laufen. Das überlebten nur wenige. Wenn die Direktoren der Lederbetriebe die Gebrauchsspuren und die Haltbarkeit der Schuhe besichtigen wollten, musste das Schuhkommando geschlossen vor den Vertretern der Schuhprüfstelle Aufstellung nehmen und die Schuhe ausziehen.

Vera Friedländer: Ich war Zwangsarbeiterin bei Salamander, Verlag Das neue Berlin, Eulenspiegel Verlagsgruppe, Berlin, 2016, 14,99 EUR
Als aufsteigender Schuhproduzent war Salamander maßgeblich an der Testung von Ersatzstoffschuhen im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg beteiligt. 1940 wurde dazu die berüchtigte »Schuhläuferstrecke«, eine halbrunde Laufbahn von 700 Metern mit 8-10 m Breite und abwechselnden Belägen eingerichtet. Unterernährte Häftlinge mussten dort täglich elf Stunden lang mit 15-30 kg Gepäck auf dem Rücken bis zu 40 Kilometer schnell laufen. Das überlebten nur wenige. Wenn die Direktoren der Lederbetriebe die Gebrauchsspuren und die Haltbarkeit der Schuhe besichtigen wollten, musste das Schuhkommando geschlossen vor den Vertretern der Schuhprüfstelle Aufstellung nehmen und die Schuhe ausziehen.

Nach einer knappen Darstellung vom Entstehen der Schuhfirma nimmt Vera Friedländer den weiteren Werdegang des Unternehmens im deutschen Faschismus genauer unter die Lupe. 1933 wird bereits eine schrittweise »Arisierung« im Vorstand des Unternehmens in Angriff genommen. Schlussendlich werden die jüdischen Kapitalgeber kalt gestellt. Anschließend wird die Firma aus der Boykottliste der Nazis gestrichen. Die Anlehnung der Firma an die Nazis beginnt mit einer Spende von 10.000 Reichsmark durch den neuen Firmenchef Alex Haffner zu Hitlers erstem Geburtstag als »Reichskanzler«. Gleich nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 und weit vor der Reichspogromnacht 1936 »erwirbt« die Salamander AG bereits gut gehende Schuhfirmen aus Offenbach und Speyer. Die Offenbacher J. Mayer & Söhne Leder AG ist 6 Millionen Reichsmark wert, die Besitzer werden mit einer halben Million abgefunden. Das mag damals gerade gereicht haben, um ihr Vermögen aufzulösen und die Ausreise zu bewerkstelligen. Zudem »erwirbt« Salamander noch die württembergische Schuhfabrik Faurndau GmbH und 1937 Anteile der Gerberei Sihler & Co AG. Durch diese Einkäufe wird sie zu einem der größeren Schuhkonzerne neben der Freundenberg AG.
Die Autorin arbeitet an Hand von Fakten heraus, dass neben der Ledergewinnung (durch Raub), vor allem das Lederrecycling und die Gewinnung von Ersatzstoffen für Leder wichtige Schwerpunkte der Firmenstrategie waren. Sie weist darauf hin, wie Ledernachschub in großem Stil aus der Sowjetunion geraubt wurde. Dies war neben der Beschäftigung von mehr als 2000 Zwangsarbeiterinnen und Kriegsgefangenen überwiegend aus Frankreich, Griechenland und weiteren 19 Nationen ein wichtiger Faktor für den Erfolg des Unternehmens. Denn für geraubtes Leder fielen nur Transportkosten an und Zwangsarbeiter waren billig. Wozu angeblich nichts zu finden war, war die Wiederaufbereitung von Leder aus Schuhen, die ermordete jüdische Häftlinge verschiedener KZ zurückließen, und die von Berliner Juden, Polen und Franzosen in der Berliner Köpenicker Straße Nr. 6a-7 in Kreuzberg aufgearbeitet wurden. Obwohl die Firma Salamander zunächst bestritt, damit etwas zu tun zu haben, konnte der Beweis mit Berliner Adressbüchern von 1937 erbracht werden, die die Salamander AG als Betreiber eines Reparaturbetriebes in der Köpenicker Straße 6a ausweisen. Auch in Vera Friedländers Arbeitsbuch ist die obige Adresse auf dem Salamander-Stempel deutlich zu erkennen.
Vera Friedländer ist deshalb so sehr an dieser Unternehmensgeschichte interessiert, weil sie selbst als 16-Jährige Zwangsarbeiterin bei Salamander in Kreuzberg war. Sie ist Tochter einer jüdischen Mutter. Ihr Vater ließ sich nicht scheiden, sondern ging zum Schutz seiner Familie zur Organisation Todt, um »dort seine Wehrwürdigkeit« unter Beweis zu stellen. Vera wurde 1944 zur Zwangsarbeit im Reparaturbetrieb bei Salamander verpflichtet.
Nach einem friedlichen Leben in der DDR, das ihr ein Studium der Germanistik und eine Professur ermöglichte, ist sie als Bundesbürgerin seit 1990 wieder mit rechtsextremistischen Entwicklungen konfrontiert. In diesem Kontext erinnerte sie sich an ihre Jugend, und an die Fragen, die sie als junges Mädchen nicht auflösen konnte: Woher kommen die vielen Schuhe? Wer sind ihre Besitzer? Warum sind die Schuhe nicht mit einer Nummer markiert, damit sie wieder abgeholt werden können? In ihren Recherchen stieß sie auf Salamander (jetzt: Leiser): Sie entdeckte, dass sich das Unternehmen mit seiner Nicht-Verwicklung in die Naziherrschaft schmückte. Und das, obwohl die Schuhproduktion kriegswichtig und die Firma einer der einflussreichsten Schuhproduzenten im damaligen »Dritten Reich« war.
In der zweiten Hälfte ihres Buches skelettiert Vera Friedländer Hanspeter Sturms Legende von den »schützenden Händen über unsere Juden«: Sie berichtet von der weitaus umfangreicheren jüdischen Bevölkerung in Kornwestheim und widerlegt halb- und unwahre Einzelaussagen des »Historikers«. Vera Friedländers Buch ist großartig, weil es zur Aufdeckung der Methodik des Lügens zum Zwecke der Weißwaschung von deutschen Wirtschaftsunternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg einen hervorragenden Beitrag leistet.