In christlicher Verantwortung

geschrieben von Heinrich Fink

20. Januar 2017

Der »dangerous person« Martin Niemöller zum 125. Geburtstag

Die von Martin Niemöller bei politischen Entscheidungen oft gestellte Frage: »Was würde Jesus dazu sagen?«, war für ihn keine fromme Floskel, sondern seine Überzeugung, sich in schwierigen Situationen Rat zu holen.
Niemöller wuchs in einem konservativen westfälischen Pfarrhaus auf, in dem »Kaisertum und väterliche Gesinnung«, Bibellesen, Beten, Fleiß und Hilfsbereitschaft christliche Attribute waren. In der Gemeinde herrschte unbeschreibliche Armut. Der Vater versuchte, durch Sammlungen und Spenden zu helfen. Niemöller erinnert sich, daß sein Vater aber mit ihm niemals über die Ursachen der Armut gesprochen hat.

Martin Niemüller »Ich habe mich von einem sehr konservativen Menschen zu einem fortschrittlichen Menschen und am Schluß zu einem revolutionären Menschen entwickelt.«

Martin Niemüller »Ich habe mich von einem sehr konservativen Menschen zu einem fortschrittlichen Menschen und am Schluß zu einem revolutionären Menschen entwickelt.«

Nach der Novemberrevolution quittierte Nie-möller den Militärdienst und entschloss sich zum Theologiestudium. Er beginnt politisch zu denken und arbeitet als Theologiestudent im katholischen Münster in der Kommunalpolitik und gründet eine evangelische Fraktion. Allerdings war er der Politik der NSDAP mit ihren sozialen Forderungen nicht abgeneigt. Nach seinem Vikariat und der diakonischen Arbeit bekam er in Berlin-Dahlem eine Pfarrstelle.
1933 gelingt es der »Glaubensbewegung Deutscher Christen«, in dieser Gemeinde mit Hilfe der neuen Machthaber Schlüsselpositionen in Kirchenleitung und Synode zu besetzen. So konnte die Einführung des Arierparagraphen auch in der Kirche durchgesetzt werden. Hier setzte Niemöllers Widerstand ein: Er rief seine Amtsbrüder zur Gründung eines »Pfarrernotbundes« auf, der dann zur Ausgangsbasis der sich gründenden Bekennenden Kirche wurde.
Anfang 1934 kam es zur persönlichen Konfrontation zwischen Hitler und Niemöller. Hitler hatte eine Anzahl von Kirchenvertretern zu einer Unterredung eingeladen. Er rückte ein abgehörtes Telefonat Niemöllers in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, in dem dieser despektierliche Worte über die nationalsozialistische Kirchenpolitik geäußert habe. Hitler erklärte im barschen Ton, Niemöller solle sich ausschließlich um Kirche kümmern und nicht um Politik. Niemöller widersprach öffentlich, daß »weder Sie noch eine Macht in der Welt in der Lage sind, uns als Christen die uns von Gott auferlegte Verantwortung für unser Volk ablegen zu lassen.«
Dies empörte Hitler so sehr, daß er Niemöller umgehend Predigtverbot erteilen ließ und ihn zum »Feind des deutschen Volkes« erklärte. Bis 1937 mußte Niemöller sich 40 Gerichtsverfahren stellen, wurde wiederholt verhaftet und saß schließlich als persönlicher Gefangener Hitlers acht Jahre im KZ Sachsenhausen und Dachau. Später erwähnte Niemöller wiederholt, daß ihn die selbstverständliche Solidarität der kommunistischen Mithäftlinge ihm, dem Pfarrer gegenüber, tief beeindruckt habe. Er habe sich geschämt, daß er zu diesen Hitlergegnern nicht schon vor seiner Verhaftung Kontakt gesucht habe.
Unfassbar war für ihn, daß er mit der Befreiung Deutschlands vom Faschismus nicht sofort auf freien Fuß gesetzt wurde. Man erklärte ihm, er sei als »dangerous person« eingestuft und gelte deshalb zunächst noch als Gefangener der amerikanischen Besatzungsmacht. Erst nach einem Hungerstreik konnte er am 4. Juni die Freilassung erwirken. Später sagte er, daß ihm diese bittere Erfahrung den »Kalten Krieg« signalisiert habe.
Niemöller blieb weiter eine »dangerous person«:
Auch als Kirchenpräsident der evangelischen Kirche Hessen-Nassau (1947-1964) blieb er unbequem. Ab 1950 begründet er in unzähligen öffentlichen Vorträgen und in einem offenen Brief seine Ablehnung der Remilitarisierung. 1952 nahm er eine Einladung nach Moskau an, zwei Jahre darauf diskutierte er mit den Atomphysikern Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker die Gefährdung des Weltfriedens durch die atomare Bewaffnung. Der ehemalige U-Boot-Kommandant wurde konsequenter Pazifist und 1954 Präsident der Deutschen Friedensgesellschaft. Drei Jahre darauf stimmte er auf der gesamtdeutschen Synode der evangelischen Kirche gegen den Militärseelsorgevertrag. 1959/60 war er ein Mitbegründer der Prager Christlichen Friedenskonferenz, die sich der Forderung Bonhoeffers verpflichtet fühlte, »den Völkern im Namen Christi die Waffen aus der Hand zu nehmen.« 1967 wurde er Ehrenpräsident des Weltfriedensrates. Die Ostermärsche unterstützte er bis zu seinem Tode am 6. März 1984.
Niemöllers Antrag, in die VVN aufgenommen zu werden, lehnte die hessische VVN 1947 ab, weil Niemöller sich in der Diskussion um die neue Regierungsform in Nachkriegsdeutschland für eine Monarchie aussprach. Sie fanden diese Haltung reaktionär und sein Kampf gegen den Faschismus wog das nicht auf. Der VVN gegenüber entwickelte er dennoch ein neues Verhältnis. In den Zeiten der massiven Angriffe Ende der 50er Jahre stellte er sich öffentlich auf ihre Seite. Es war auch eine Wiedergutmachung der VVN, dass Niemöller im Januar 1977 als Erster die Ehrenmedaille des Deutschen Widerstandes erhielt.
In summa war und ist Martin Niemöller für alle, die aus Profitgier Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung missachten, tatsächlich eine »dangerous person«.

Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland lehnte Niemöller energisch ab, denn er sah darin das Ende wichtiger Verhandlungen um die zu gestaltende Einheit Deutschlands. Adenauer bezeichnete Niemöller als Landesverräter. Wen wundert es, dass Bischof Dibelius zu verhindern suchte, dass er wieder Pfarrer in Berlin-Dahlem werden durfte.