Voll daneben

geschrieben von Axel Holz

12. August 2017

Die DDR ist weiter an allem schuld

Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, die Thüringer SPD-Politikerin Iris Gleicke, hat den Ostdeutschen eine besondere Anfälligkeit für Rechtsextremismus attestiert, gegen vielfachen Protest bis in die CDU hinein. Zum ersten Mal hatte Gleicke das Thema Rechtsextremismus in ihrem Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit mit aufgenommen, obwohl die Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung in ganz Deutschland seit über 15 Jahren relativ stabile diskriminierende Ressentiments gegen einzelne Bevölkerungsgruppen in erheblichen Teilen der Gesamtbevölkerung feststellen.

Die Hälfte der rechtsextremen Straftaten würde im Osten verübt, wo aber nur 19 Prozent der Bevölkerung lebten, hatte das Göttinger Institut für Demokratieforschung herausgefunden. Diese Studie begründet eine höhere rechtsextreme Anfälligkeit der ostdeutschen Zivilgesellschaft in erster Linie mit der Geschichte der DDR und nennt eine Erinnerungskultur als Grund, die den eigenen Opferstatus überhöhe. Sie konstatiert ein großes Unbehagen am Politischen, das unter anderem auf Erfahrungen der Staatspolitisierung in der DDR zurückgehe. Doch ist das glaubhaft, wenn mehr als 25 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur BRD nicht die tatsächlich vorhandenen gesellschaftlichen Verhältnisse die Verabschiedung vieler Bürger von der Zivilgesellschaft prägen sollen? Die Studie beruht auf vierzig Interviews in Schwerpunktorten rechtsextremer Aktivität, in Freital und Heidenau bei Dresden sowie im Erfurter Stadtteil Herrenberg. Zuträglich war dabei sicherlich nicht, dass einige Interviews nicht erkennbar als anonymisiert autorisiert wurden, wie es in Medienberichten heißt. Die Studie habe nur eine bedingte Aussagekraft für den Osten, betonen die Autoren, und die Mehrheit der Ostdeutschen sei nicht rechtsextrem, kommentiert die Ostbeauftragte. Warum hat die Studie dann nicht weitere Regionen in Ost und West einbezogen, in denen gleichermaßen Flüchtlingsheime brannten?

Den Rückzug des Staates aus ganzen Regionen können wir nicht hinnehmen, so Gleicke. Aber ist dieser Trend nicht seit Jahren bekannt, fragt Eric Wallis vom vorpommerschen Regionalzentrum Anklam, der regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie. Demokratielotsen und Erzählsalons seien Angebote gegen die Sprachlosigkeit, verkündet Gleicke zuversichtlich. Die Autoren der Studie sehen die beste Prävention gegen Rechtsextremismus hingegen in einer besseren Arbeitsmarkt-, Wohn- und Sozialpolitik. Wie aber wollen die politischen Akteure diese Probleme bei der anstehenden Bundestagswahl angehen, wenn sich Ihre Analyse weiterhin auf augenscheinliche Geschichtsklitterung verlässt?