Der NSU und die Spitzel

geschrieben von Janka Kluge

22. November 2017

Wieviel Staat steckte im »Nationalsozialistischen Untergrund«?

Immer wieder, wenn es um die rechten Terroristen des NSU geht, taucht in Gesprächen die Frage auf: Warum haben die Verfassungsschutzämter nichts von dem mörderischen Treiben mitbekommen? Oder haben sie es sogar gedeckt?

Seit langem ist bekannt, dass verschiedene Ämter Informanten im unmittelbaren Umfeld von Mundlos, Bönhardt und Zschäpe hatten. Teilweise ist von 25 bis 30 Zuträgern aus der rechten Szene die Rede.

Ab 1997 lief die »Operation Rennsteig«. Bei dieser Operation haben vier Geheimdienste gemeinsam Neo-nazis aus Thüringen beobachtet. Anlass für die Aktion waren Nazis aus Thüringen, die in Bayern ihren Wehrdienst leisteten. Weil sie in Bayern stationiert waren, war der Bayrische Verfassungsschutz dabei. Da es sich um Soldaten handelte, der Militärische Abschirmdienst (MAD), weil sie aus Thüringen kamen der Thüringer Verfassungsschutz und schließlich noch das Bundesamt für Verfassungsschutz, weil es sich um eine länderübergreifende Beobachtung handelte. Bei einer ersten Sitzung in München einigten sie sich schnell darauf, dass das Bundesamt die Aktion führen sollte. Das rekrutierte in den folgenden Jahren mehrere Informanten. Deren Decknamen fingen alle mit T (für Thüringen) an. Insgesamt hat das Bundesamt acht Informanten aus dem Thüringer Heimatschutz angeworben. Eigentümlicherweise sind fast alle Akten der Operation Rennsteig eine Woche nach der Selbstenttarnung des NSU dem Reißwolf übergeben worden.

Das Landesamt in Thüringen hatte, unabhängig davon, drei weitere Zuträger im Thüringer Heimatschutz. Zwei von ihnen sind später namentlich bekannt geworden. Tino Brandt und Marcel Degner. Tino Brandt arbeitete bereits seit 1994 dem Verfassungsschutz zu. Einen großen Teil seiner Einnahmen steckte er in die Finanzierung von Aktivitäten des Thüringer Heimatschutzes. Degner war bei »Blood & Honour« in Ostthüringen aktiv und stieg bis in die Führungsebene auf. Degner meldete dem Thüringer Verfassungsschutz, dass Beate Zschäpe 1996 mit Thomas Starke zusammen war. Starke hatte über Jahre für das Berliner Landeskriminalamt gearbeitet. Nach seinen eigenen Angaben hat er Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auf einem Skinheadkonzert in den Jahren 1991 oder 1992 kennengelernt. Als er 1993 wegen gefährlicher Körperverletzung und schwerem Landfriedensbruch ins Gefängnis kam, wurde er von den dreien betreut. Thomas Starke lieferte an das Trio auch den Sprengstoff TNT, den die Polizei 1998 bei einer Hausdurchsuchung in der Garage der drei fand.

Nach der Hausdurchsuchung taucht das Trio ab, um der Verhaftung zu entgehen.

Als erstes wandten sie sich an Thomas Starke, der ihnen beim Untertauchen half und weitere Kontakte für sie herstellte. Starke meldete dies alles dem Berliner Verfassungsschutz, der allerdings kein Interesse daran hatte, die Informationen weiterzuleiten.

Ein anderer aus dem Umfeld war Thomas Richter, der unter dem Namen »Corelli«, über Jahre dem Bundesamt zuarbeitete. Richter wollte eigentlich bereits 1994 aus der Naziszene aussteigen. Der Verfassungsschutz setzte ihn unter Druck und baute ihn schließlich zu einer Spitzenquelle aus. Als 2012 seine Tätigkeit für den Verfassungsschutz bekannt wurde, musste er abtauchen. 2014 starb er an einer Unterzuckerung. Bei der Untersuchung zu den Umständen seines Todes kam heraus, dass er dem Verfassungsschutz mehrere gebrannte CDs übergeben hat, auf denen auch das Stichwort NSU vermerkt war.

Diese Beispiele genügen, um einige Probleme aufzuzeigen. Bis auf Thomas Richter waren alle Informanten der Ämter noch überzeugte Nazis. Ihr Ziel war und ist, den Staat zu bekämpfen und eine faschistische Diktatur zu errichten. Dafür waren und sind sie auch bereit, eine taktische Zusammenarbeit mit dem Staat einzugehen. Das Geld wird oft in den Aufbau der neonazistischen Strukturen gesteckt. Sie würden aber immer nur so viel erzählen wie sie es für richtig halten. Doch die Geheimdienste hegen sie, weil sie durch ihre Informationen den Innenministern gegenüber zeigen können, wie gut sie informiert sind und dass sie alles im Griff haben.

Dazu kommt der sogenannte Quellenschutz. Würde ein Informant verhaftet, fiele er an der Stelle aus, von der er Informationen liefert. Dadurch geraten die Ämter in die Lage, von Straftaten zu erfahren, sie aber der Polizei nicht weiter zu melden, um ihre Quellen zu schützen. Ich habe einmal die Präsidentin des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg, Beate Bube, bei einer Diskussion gefragt, wie weit für sie dieser Quellenschutz gehe. Sie sagte, bei Mord höre es für sie auf. Alles bis zum Mord würde sie also decken.

Andere sehen offenbar sogar diese Grenze noch anders. Bei dem Mord an Halit Yozgat in Kassel war der Verfassungsschützer Andreas Temme direkt anwesend. Bis heute sind die Umstände dieses »Zufalls« nicht eindeutig geklärt.

Durch die Aufarbeitung der NSU Verbrechen ist deutlich geworden, dass das System der Informanten nicht geeignet ist, Nazis in den Griff zu bekommen. Deswegen sollte die Forderung nach Abschaltung aller V-Leute wieder verstärkt erhoben werden.