Neuer Radikalenerlass

geschrieben von Klaus Lipps

2. August 2020

Verfassungsschutz soll entscheiden

Am Sonntag, dem 31. Mai, stellte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zur Diskussion, das Bundesbeamtengesetz zu ändern und folgendes aufzunehmen »Die politische Treuepflicht ist in der Regel verletzt, wenn ein Beamter öffentlich seine Zugehörigkeit zu einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei oder Vereinigung bekundet.« Die SPD sei, so die FAS, nicht abgeneigt. »Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir uns auf eine Ergänzung des geltenden Beamtenrechts einigen könnten«, wird die innenpolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, Ute Vogt, zitiert.

Schon im vergangenen Oktober haben Betroffene des sogenannten Radikalenerlasses vom 28. Januar 1972 einen Beschluss der Innenminister und Innensenatoren zum Anlass genommen, solche Vorstöße abzulehnen. Zur Begründung wurde auf persönliche und politische Erfahrung verwiesen. Zitat: »Wir sind gebrannte Kinder: Wir haben nach 1972 erfahren, dass und wie solche Maßnahmen, die sich angeblich gegen rechts und links richten, sehr bald und dann fast ausschließlich gegen linke Kritiker der herrschenden Verhältnisse angewandt werden.«

Wie seinerzeit von »Radikalen« die Rede war, so wird heute ebenso schwammig und juristisch undefiniert von »Extremisten« statt von Nazis gesprochen. Weiter heißt es in der Erklärung: »Höcke und Kalbitz sind nicht Rechtsextremisten, weil Internettrolle sie so nennen, sondern weil das Bundesamt für Verfassungsschutz beide beobachtet hat. Es kam zu dem Ergebnis, dass sie als Extremisten eingestuft werden müssen.« Sie sind laut FAS also Rechtsextremisten, weil der Verfassungsschutz sie so einstuft (und keine, solange der Verfassungsschutz das nicht tut). Der Verfassungsschutz soll demnach das Privileg genießen, eine derartige Bewertung verbindlich vorzunehmen.

Anwendung gegen links

Im vergangenen Jahr wurde der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN – BdA) die Gemeinnützigkeit entzogen. Grundlage war die Abgabenordnung, die Regelungen zum Steuer- und Abgabenrecht und damit auch zur Gemeinnützigkeit enthält. Darin heißt es in § 51: »(3) Eine Steuervergünstigung setzt zudem voraus, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen im Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt. Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind.«

Der Bayerische VS-Bericht führt die VVN unter der Rubrik Linksextremismus. Eine Klage dagegen wurde abgewiesen. Auf diese Nennung aber beruft sich nun das Finanzamt Berlin, um der Bundesvereinigung der VVN die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Mittels Abgabenordnung ist somit die Entscheidung über die Gemeinnützigkeit dem Verfassungsschutz übertragen worden.

Dienstherren müssen handeln

Angesichts der massiven Versäumnisse und Fehleinschätzungen in den letzten Jahren (Stichwort »NSU«) ist es völlig falsch, dem Inlandsgeheimdienst die Entscheidungshoheit darüber zu verleihen, wer als »extremistisch« einzustufen ist. Hinzu kommt, dass der Begriff juristisch völlig undefiniert ist, seine Verwendung aber weitreichende Rechtsfolgen haben soll. Der Verfassungsschutz ist Teil des Problems, aber nicht der Lösung. Das zeigt sich unter anderem daran, dass sein Feindbild weitgehend deckungsgleich ist mit dem der AfD. Zum Beleg kann auf zahlreiche parlamentarische »Anfragen« dieser Partei verwiesen werden.

Wir als Betroffene des Radikalenerlasses von 1972 halten an unserer Auffassung fest, dass aus dem Öffentlichen Dienst entlassen werden kann und soll, wer sich schwerwiegender konkreter Vergehen gegen seine Dienstpflichten schuldig gemacht hat. Die bloße Mitgliedschaft in einer Gruppe, einer Organisation oder einer nicht verbotenen Partei kann kein Berufsverbot begründen. Die Dienstherren müssen sich schon die Mühe machen (und dies schleunigst!), den Betreffenden konkrete Verfehlungen nachzuweisen.

Die etablierten Parteien, die staatlichen Institutionen und auch die Justiz hatten und haben alle Möglichkeiten, politisch und rechtlich gegen Organisationen und Personen vorzugehen, die grundgesetzwidrig handeln. Es ist höchste Zeit, dass sie diese Aufgabe entschieden wahrnehmen und nicht immer neue Mittel erfinden.

Gekürzte Erklärung des Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte.
www.berufsverbote.de