Im Auftrag der Hygiene?

geschrieben von Janka Kluge

5. August 2020

Wer organisiert die Proteste gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen?

In den letzten Monaten sind in vielen Orten Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Corona-Beschränkungen zu demonstrieren. Von außen betrachtet waren die Teilnehmer der Demonstrationen sehr unterschiedlich. In Stuttgart versammelten sich neben bekannten Mitgliedern der AfD, Reichsbürger, fundamentalistische Christen und Fußballfans auch viele junge Familien mit Kindern. Diese Vielfalt spiegelte sich nicht in gleicher Weise auf den Transparenten und Plakaten wider, die hochgehalten wurden. Hier dominierten Verschwörungsideen mit antisemitischem Einschlag. Außerdem waren viele Plakate zu sehen, die die Regierung mit dem Hitlerfaschismus gleichsetzten. Die Demonstranten wurden mit den Mitgliedern des Widerstands verglichen. Ähnliche Beobachtungen konnte man auch in anderen Städten machen. Es lohnt ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Proteste.

Der erste Schritt

Der Journalist und Regisseur Anselm Lenz gründete mit seinem Kollegen Hendrik Sodenkamp die Gruppe »Nicht ohne uns«. Die Gruppe rief zu den ersten Demonstrationen auf. Den beiden schwebte aber von Anfang an mehr vor, als nur ihren Unmut über die Einschränkungen zu zeigen. Als eine Art Überbau gründeten sie die »Kontaktstelle Demokratischer Widerstand e.V.«. Den Impuls nahm Michael Ballweg, ein Internetunternehmer aus Stuttgart, auf und gründete die Initiative »Querdenken 711«. Sowohl »Querdenken«, als auch »Nicht ohne uns« haben mittlerweile dutzende Ableger in anderen Städten. Beide Gruppierungen werden von Ken Jebsen unterstützt, der ihnen auf seiner Internetseite breiten Platz einräumt. Jebsen ist ein ehemaliger Radiomoderator aus Berlin, dem wegen antisemitischer Äußerungen vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) gekündigt wurde. Seitdem betreibt er mit Ken.fm sein eigenes Medium. In rechten Kreisen gilt er als absoluter Star. Als er als Redner in Stuttgart bei einer »Corona Demonstration« auftrat, verdoppelte sich die Teilnehmerzahl auf 20.000 Menschen. Nachdem Jebsen die Demonstrationen unterstützte und das Vorgehen von Michael Ballweg als vorbildlich lobte, schossen die Regionalgruppen wie Pilze aus dem Boden. Gründer waren oft bekannte Mitglieder von Pegida.

Schiefe Vergleiche

Die Demonstrationen begnügten sich nicht damit, gegen die Einschränkungen zu demonstrieren. Sie behaupteten, dass analog zu 1933 gerade eine Machtübernahme stattfinde. Sie seien die einzigen, die die Freiheit und das Grundgesetz verteidigten. Von der Regierung forderten sie, dass sie zurücktreten soll. Um im Wahlkampf wirken zu können, wurde die Mitmach-Partei »Widerstand 2020« gegründet. Nach herkömmlichen Definitionen entspricht »Widerstand 2020« nicht den Kriterien einer Partei, sondern eher einem Personenbündnis. Zu den Gründungspersonen gehört der Rechtsanwalt Ralf Ludwig, der Sinsheimer Arzt Bodo Schiffmann und die Psychologin Victoria Hamm. Mittlerweile haben Victoria Hamm und Bodo Schiffmann das Bündnis wieder verlassen.

Manipulationen

Schlagzeilen machte die Gruppe »Widerstand 2020«, als sie angab, bereits über 100.000 Mitglieder zu haben. Die Seite wurde gehackt. So kam heraus, dass es genügte, den Newsletter zu abonnieren, um als Mitglied gezählt zu werden. Außerdem waren die Zahlen für die Zugriffe auf die Internetseite manipuliert worden. Computerprogramme, sogenannte Bots, hatten automatisch die Seite angewählt. Dem Ruf der angeblichen Partei hat auch geschadet, dass ihre Adresse mit der der AfD Niedersachsen identisch war. Auf der Internetseite heißt es: »Ja, es ist nur eine Büroanschrift von einem Büroservice. (…) Das bedeutet aber nicht, dass wir mit irgendeiner anderen Partei in Kontakt stehen. Wir wollten auf ein teures, unnützes Büro verzichten, denn das hätte nur Geld verschwendet.« Weiter heißt es auf der Seite, dass Fehler gemacht worden seien und sie jetzt einen Neustart planten. Ziel sei es, an der Bundestagswahl im nächsten Jahr teilzunehmen. Von der ursprünglichen Forderung, dass Deutschland von einem »Notparlament« regiert werden soll, ist nichts mehr zu finden. Dem Parlament sollten 700 Bürger angehören, die in den letzten fünf Jahren kein politisches Amt inne hatten.

Bodo Schiffmann, der sich als Arzt auf »Schwindelanfälle« spezialisiert hat, gab nach seinem Austritt aus »Widerstand 2020« an, eine neue Partei gründen zu wollen. Der Name sei schon gefunden: »Wir 2020«.

Die AfD spielte lange keine nennenswerte Rolle in der Auseinandersetzung über die Corona-Maßnahmen. Mittlerweile versuchen einzelne Politiker, das Thema zu besetzen. Die Angst, dass weitere rechte Parteien entstehen, die ihnen Wähler wegnehmen, treibt die AfD in die Offensive.