Rechte Wahlbündnisse

geschrieben von Cornelia Hildebrandt

4. September 2022

Was in Frankreich verhindert werden konnte, scheint in Italien machbar

In Frankreich hatte sich lange vor den Wahlen eine gesamtgesellschaftliche reaktionäre Bewegung mit Regierungsmitgliedern, Persönlichkeiten aus dem gesamten politischen Spektrum und Medien formiert und zunehmend die politische Agenda bestimmt, so dass selbst das rassistische Narrativ vom »großen Austausch« einen festen Platz im gesellschaftlichen Diskurs hat. Die Kandidatur Éric Zemmours half darüber hinaus, den Schwerpunkt der Debatten auf die extreme Rechte zu verlagern und durch die Koexistenz verschiedener rechtsextremer Strömungen diesen ideologischen Raum breiter aufzufächern, während Jean-Luc Mélenchons Linksbündnis -NUPES dämonisiert wurde. Hinzu kam die Weigerung Emmanuel Macrons, auf nationaler Ebene eine Wahlempfehlung im Rahmen von Duellen zwischen der NUPES und dem Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen abzugeben, mit der Folge des Zusammenbruchs der republikanischen Front in den 200 Wahlkreisen, in denen sich RN für den zweiten Wahlgang qualifiziert hatte. Nun ist Le Pen auch noch drittstärkste Kraft im Nationalparlament.

Le Pen konzentrierte ihren Wahlkampf auf die soziale Frage wie die Erhöhung von Mindestlöhnen und den Schutz der Rente mit 60. Sie forderte Hilfen für Studenten und Familien und den Erhalt der Kaufkraft angesichts steigender Energiepreise. Es ging aber auch um republikanische Werte, französische Identität und Souveränität in alter Größe. Ihr Wahlprogramm enthielt bekannte Forderungen: gegen Einwanderung, gegen Kriminelle, die auf Kosten der Franzosen leben, gekürzte Transferleistungen für Nichtfranzosen und öffentliche Sicherheit, der Ausbau von Haftanstalten und zusätzliches Personal für die Polizei. Wem das zu moderat war, der wählte bei den Präsidentschaftswahlen zunächst die radikalisierte Variante: Éric Zemmour – der Anlaufpunkt der traditionsbewussten extremen Rechten.

Der Erfolg Le Pens motiviert Italiens Rechte, auch wenn sich hier die Entwicklung anders darstellt. Seit der Finanzkrise 2009 gibt es spätestens alle zwei Jahre eine neue Regierung. Dagegen erscheint das französische Präsidialsystem aus der Perspektive der italienischen Rechten geradezu erstrebenswert. Folgerichtig wird jede weitere Destabilisierung des politischen Systems von ihr gnadenlos genutzt, und notfalls zieht sie die Fäden im Hintergrund zum Sturz von Regierungen.

Blick auf die politische Landkarte Frankreichs nach den am 26. April abgehaltenen Präsidentschaftswahlen. Grafik von Mathieu Lehot-Couette / Franceinfo In Frankreich gaben mehr als 13 Millionen Menschen der Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen des rechtsextremen Rassemblement National (RN) ihre Stimme. In Italien steht die postfaschistische Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) in einem Rechtsbündnis mit Lega und Forza Italia vor der Regierungsübernahme. Wie ist das möglich?

Blick auf die politische Landkarte Frankreichs nach den am 26. April abgehaltenen Präsidentschaftswahlen. Grafik von Mathieu Lehot-Couette / Franceinfo
In Frankreich gaben mehr als 13 Millionen Menschen der Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen des rechtsextremen Rassemblement National (RN) ihre Stimme. In Italien steht die postfaschistische Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) in einem Rechtsbündnis mit Lega und Forza Italia vor der Regierungsübernahme. Wie ist das möglich?

Zumindest kann sie den »Sturz« des Premierministers Mario Draghi nach Ablehnung aller Forderungen der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) zur Entlastung von Familien und Unternehmen angesichts der hohen Energiekosten für sich nutzen. M5S hatte unter anderem Mindestlöhne und ein weiteres Monatsgehalt für jene gefordert, die keine Arbeit haben. Die völlige Ignorierung dieser Forderungen erst führte zur Vertrauensfrage, die Draghi letztlich auch deshalb verlor, weil der Partito Democratico (PD) auf ein neues breiteres Mitte-Links-Bündnis unter Einschluss der Zentrumspartei Azione hoffte. Allerdings lehnte Azione unter Führung des früheren Ministers Carlo Calenda Bündnisparteien ab, die für den Sturz Draghis verantwortlich seien und verließ dieses Bündnis. Der Vorsitzende des PD hatte seinerseits eine Koali-tion mit der Fünf-Sterne-Bewegung ausgeschlossen.

Damit aber steht dem Erfolg einer breiten politischen Rechtsallianz mit der führenden postfaschistischen Fratelli dʼItalia (FdI), der Lega und Berlusconis Forza Italia kaum noch etwas entgegen. Derzeit steht die Rechtsallianz in Umfragen bei 24 Prozent – FdI, 14 Prozent – Lega und sieben Prozent – Forza Italia. Das heißt 100 Jahre nach dem Marsch auf Rom führt eine postfaschistische Partei, die noch immer die Mussolini-Flamme im Logo trägt, nicht nur das rechte Lager, sondern ebenso in den Wahlumfragen. Allein dies macht die Parteiverdrossenheit in Italien und den Rechtsruck der Gesellschaft sichtbar, der maßgeblich auch von den Medien betrieben wird. Noch sind ca. 40 bis 50 Prozent der Wähler unentschlossen oder haben die Absicht nicht zu wählen.

Was aber ist von den Postfaschisten zu erwarten? Giorgia Meloni (FdI) bekennt sich zur NATO und verurteilt den Krieg in der Ukraine. Sie strebt mit ihrer rechten Regierungskoalition eine Verfassungsänderung zugunsten einer Präsidialdemokratie wie in Frankreich an. Sie steht für christliche Werte, für die »natürliche« Familie, ist gegen Abtreibung und Rechte der »LGBT-Lobby«. Sie fordert sichere Grenzen gegen Masseneinwanderung und islamische Gewalt, tritt ein für die Unabhängigkeit der Völker gegen die Bürokraten von Brüssel. Sie lehnt die Einführung eines Mindestlohns ab und fordert die Abschaffung des »Reddito di cittadinanza« (ähnlich Hartz IV), das eine Million Menschen vor der absoluten Armut rettet. Was das für Italien langfristig bedeutet, zumal sie sich neben den Rechtsparteien auf starke italienische rechte Bewegungen wie die Casa Pound, auf Sportvereine und Kulturevents einer rechten Kulturszene stützen kann, bleibt abzuwarten.

Zum Weiterlesen: Analyse von Gala Kabbaj »Wahlen in Frankreich: Die Dreiteilung des politischen Spektrums« auf https://kurzelinks.de/wahlfrance