Verblüffende Kontinuität

geschrieben von Harry Friebel

27. April 2024

Ein Buch über die BRD-Bundespräsidenten und deren Nazivergangenheiten

Am 8. Mai 1985 – 40 Jahre nach dem Sieg der Alliierten über die Nazidiktatur – sagte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU, Amtszeit 1984–1994) vor dem Plenum des Bundestags: »Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.« Im Zusammenhang mit dem 8. Mai von »Befreiung« zu sprechen war kein Tabubruch mehr – auch der Vorvorgänger Weizsäckers, Walter Scheel (FDP), hatte dieses Wort bereits zehn Jahre zuvor zum 30. Jahrestag eingebracht. Dennoch blieb Weizsäckers Aussage nicht folgenlos: Das Bundespräsidialamt wurde gleichsam überschüttet mit Reaktionen der Bewunderung, des Einverständnisses, des heftigen Widerspruchs und des »Hasses der Rechten«. Verblüffende Kontinuität weiterlesen »

Verdrängung ganz nah

geschrieben von Axel Holz

27. April 2024

Der Film »The Zone of Interest« beschreibt das Familienleben des Auschwitzkommandanten Höß

Filme über KZs der Nazis gehören mittlerweile zum kulturellen und politischen Erbe, um an den Holocaust zu erinnern. Frank Beyers -DEFA-Film »Nackt unter Wölfen« hat in der DDR Schülergenerationen begleitet, die Verfilmung von Jurek Beckers »Jakob der Lügner« die Oskar-Nominierung eines DEFA-Films ermöglicht, und auch »Morituri«, Regisseur Eugen York, Produzent Artur Brauner, sorgte in der Alt-BRD für Aufsehen. Alle drei Filme spielen im KZ und zeigen die Sicht der Häftlinge.

Jonathan Glazers Film wechselt die Perspektive in Richtung Täter, und statt Grauen zu zeigen, macht er es hörbar. Er nimmt einen ungewöhnlichen Blickwinkel auf die Deutschen ein und betrachtet die ungeliebte Schwester des Vergessens, die Verdrängung. Die Verfilmung von Martin Amis’ Roman »Interessengebiet« betrachtet das Familienleben des Auschwitz-kommandanten Rudolf Höß hinter der Mauer des KZ – zusammen mit seiner Frau Hedwig, fünf Kindern, drei Angestellten und einem Hund. Verdrängung ganz nah weiterlesen »

Eindrucksvolle Sammlung

geschrieben von Maria Krüger

27. April 2024

Florence Hervé über europäische Frauen im Widerstand gegen Nazis und Krieg

Als Florence Hervé Ende März in der Halle 5 der Leipziger Buchmesse die Bühne betrat, um ihr neues Buch vorzustellen, waren die Plätze mit knapp 80 Zuhörerinnen gut gefüllt, auch einige wenige Männer hatten sich eingefunden. Sie erfuhren, warum sich die Herausgeberin – sie wurde am 17. April 80 Jahre alt – mit diesem Thema beschäftigte, und hörten Auszüge aus zwei Biografien des neuen Sammelbandes »Ihr wisst nicht, wo mein Mut endet«.

Florence Hervé hat im Jahre 2020 den ersten Sammelband mit Biografien von Frauen aus dem antifaschistischen Widerstand in Europa unter dem Titel »Mit Mut und List« veröffentlicht. Auf der Grundlage von biografischen Skizzen, die seit Jahren im feministischen Kalender »Wir Frauen« veröffentlicht werden, und weiteren Veröffentlichungen gelang es ihr mit Historikerinnen, Journalistinnen und anderen feministischen Autorinnen aus mehreren Ländern Europas, eine eindrucksvolle Sammlung von 75 Frauenporträts aus mehr als 20 Staaten vorzulegen. Mehrere dieser Biografien entstanden auf der Basis von Interviews und Gesprächen mit den porträtierten Frauen aus dem Widerstand. Die Autorinnen seien damit so etwas wie »Zweitzeitzeuginnen« geworden. Eindrucksvolle Sammlung weiterlesen »

Aufstieg zur Massenpartei

geschrieben von Jakob Knab

27. April 2024

Wie kam die NSDAP als einstige Splitterorganisation innerhalb weniger Jahre an die Macht?

Gerd Krumeich erkundet und erhellt die erstaunliche Geschichte des Aufstiegs des Nationalsozialismus von seinen Anfängen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs. Für den kundigen Leser ist diese Neuerscheinung eine ungemein anregende Lektüre, denn der Autor beschreibt und deutet das Umfeld, in dem die unbewältigte Niederlage von 1918 zum Aufstieg der NS-Bewegung in Deutschland führte. Er gibt Antworten auf die Frage: Wie konnte aus einer gewalttätigen Splitterpartei innerhalb weniger Jahre eine verheerende Massenbewegung werden, die Adolf Hitler an die Macht brachte? Aufstieg zur Massenpartei weiterlesen »

Ausgabe März/April 2024

2. März 2024

Unser Titelbild zeigt das Gedenkenam 17. Februar anlässlich des rechtenAnschlags vor vier Jahren in Hanau.Rund 8.000 Menschen erinnerten
dort an die Ermordeten Ferhat Unvar,
Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi,
Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz,
Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat
Gürbüz und Gökhan Gültekin. Siehe
auch Seite 6 und Länderseite Hessen.
Foto: Hendrik Bammel

Unser Titelbild zeigt das Gedenken
am 17. Februar anlässlich des rechten
Anschlags vor vier Jahren in Hanau.
Rund 8.000 Menschen erinnerten
dort an die Ermordeten Ferhat Unvar,
Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi,
Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz,
Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat
Gürbüz und Gökhan Gültekin. Siehe
auch Seite 6 und Länderseite Hessen.
Foto: Hendrik Bammel

Seit Jahren wird auf massenweise Posi-tionierung im Kampf gegen rechts gehofft. Nun sind diese Massen bei Kälte und Regen auf Großdemos unterwegs, und dennoch macht sich gerade unter denjenigen Skepsis breit, die jahrelang auf solche Manifestationen politischen Willens hingearbeitet haben. Statt sich darüber zu freuen, dass wir mit unseren Analysen der Gefahren des Schulterschlusses von militanten Neonazis, AfD und Teilen der CDU – mit Unterstützung einiger Unternehmer – in der Breite durchgedrungen sind, wird beklagt, dass Demos nichts strukturell ändern. Richtig, aber diese Manifestationen sind eine hervorragende Rückendeckung für einen antifaschistischen Umbau staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen, für eine andere Form von Sicherheit, für Bildung, für die Ausrichtung an Menschlichkeit und Solidarität. Es ist an uns, darauf hinzuwirken. Der gut gepflegte Pessimismus unter Antifaschist*innen kann eine treffende Analyse der Großdemos und der eigenen Stärken nicht ersetzen. Lasst ihn zu Hause und richtet euch darauf ein, euch freudig wiederholen zu müssen, ohne den überheblichen Satz »Das haben wir schon immer gesagt« zu verwenden. Die VVN-BdA hat sich früh entschieden, die Chancen der Massenmobilisierung zu nutzen, um dem organisiertesten und bedeutsamsten Teil der extremen Rechten in Deutschland – der AfD – so sehr zu schaden, dass sie zumindest nicht stärker werden kann. Die Konzepte dafür gibt es und sie greifen. Lasst sie uns dieses Jahr stärker verfolgen.

Parallel dazu läuft eine andere Art der Kampagne, die unsere Aufmerksamkeit noch mal anders erfordert und die SPD-Chef Lars Klingbeil im Juni 2022 so beschrieb: »Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Stellung im internationalen Koordinatensystem. Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben.« Dazu gehören stetige Aufrüstung, Militäreinsätze, diskursive Kriegsvorbereitung und das ökonomische Niederringen anderer Staaten. Die Katastrophen der von uns beobachteten Kriege in der Ukraine und in Israel/Gaza haben bisher nicht zum Umdenken geführt, sondern den Eskalationskurs bestärkt. Auch hier müssen wir uns daran gewöhnen, uns zu wiederholen, bis wir mit klugen Analysen und Handlungsweisen durchdringen. Nils Becker

Zeitgeschehen

Kampf gegen die AfD auf allen Ebenen (Thomas Willms)
Dresden 2024: Feels like 2010? (Silvio Lang)
AfD-Geschichtsrevisionismus: Nebelkerzenwerfen (Jens-Christian Wagner)
Hanau-Gedenken: Say their Names (Andreas Siegmund-Schultze)
Hentschke-Bau: Ein Vorzeigeunternehmen schlechthin (Silvio Lang)
Großdemos gegen rechts
Geheimtreffen? Potsdam ist überall (Janka Kluge)
Potsdam-Treffen: Falsche Analogien (Peter Nowak)
Unsere Meldungen (Ulrich Stuwe)
Plauen: Austausch über Gegenstrategien (Doritta Kolb-Unglaub)
Militäreinsatz im Roten Meer (Jürgen Wagner)
Dörfer gegen Rechts: Es beginnt vor Ort (Muerbe u. Droege)
Kurioses aus Archiven (Ulrich Schneider)
Die doppelte Bedeutung des 27. Januar (VVN-BdA-Bundessprecher*innenkreis)

Spezial

Menschenrechte verteidigen – Argumente und Fakten gegen falsche Behauptungen und reaktionäre Scheinlösungen zu Flucht und Migration (Ruth Stiasny-Seligmann und Kay Seligmann)

Portrait

Ingrid Strobl: Den letzten Weg gegangen (Janka Kluge)

Geschichte

50 Jahre Nelkenrevolution (Ulrich Schneider)
100 Jahre Rote Hilfe: Solidarität in allen Epochen (Silke Makowski)

Internationales

Israel: Zerstörung und Tod (Appell israelischer Menschenrechtsorganisationen)
Geteiltes Erinnern: Cultures of Remembrance (Educat)

Kultur

Wie Ungeist überdauert (Regina Girod)
Rechtspop: Reaktionäre Vereinnahmungsversuche (Christian Meyer)
Ein Teil von uns: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland (Axel Holz)
John Heartfield Film: Die Wucht der Bilder (Hannah Geiger)
Bauen am nationalen Haus (Kristin Caspary)
Den Schleier zerrissen: Lokalstudie Walldorf (Silke Makowski)
Die Jugend der Olga Benario (Peps Gutsche)
Die Pflicht zum Nein: Auschwitz-Prozess vor 60 Jahren (Ulrich Schneider)
Flucht und Abenteuer: Hans Lauter (Gustav Peinel)
NS-Dokuzentrum München: Rechte Gewalt im Fokus (Ernst Antoni)

editorial

geschrieben von Nils Becker

2. März 2024

Seit Jahren wird auf massenweise Posi-tionierung im Kampf gegen rechts gehofft. Nun sind diese Massen bei Kälte und Regen auf Großdemos unterwegs, und dennoch macht sich gerade unter denjenigen Skepsis breit, die jahrelang auf solche Manifestationen politischen Willens hingearbeitet haben. Statt sich darüber zu freuen, dass wir mit unseren Analysen der Gefahren des Schulterschlusses von militanten Neonazis, AfD und Teilen der CDU – mit Unterstützung einiger Unternehmer – in der Breite durchgedrungen sind, wird beklagt, dass Demos nichts strukturell ändern. Richtig, aber diese Manifestationen sind eine hervorragende Rückendeckung für einen antifaschistischen Umbau staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen, für eine andere Form von Sicherheit, für Bildung, für die Ausrichtung an Menschlichkeit und Solidarität. Es ist an uns, darauf hinzuwirken. Der gut gepflegte Pessimismus unter Antifaschist*innen kann eine treffende Analyse der Großdemos und der eigenen Stärken nicht ersetzen. Lasst ihn zu Hause und richtet euch darauf ein, euch freudig wiederholen zu müssen, ohne den überheblichen Satz »Das haben wir schon immer gesagt« zu verwenden. Die VVN-BdA hat sich früh entschieden, die Chancen der Massenmobilisierung zu nutzen, um dem organisiertesten und bedeutsamsten Teil der extremen Rechten in Deutschland – der AfD – so sehr zu schaden, dass sie zumindest nicht stärker werden kann. Die Konzepte dafür gibt es und sie greifen. Lasst sie uns dieses Jahr stärker verfolgen.

Parallel dazu läuft eine andere Art der Kampagne, die unsere Aufmerksamkeit noch mal anders erfordert und die SPD-Chef Lars Klingbeil im Juni 2022 so beschrieb: »Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Stellung im internationalen Koordinatensystem. Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben.« Dazu gehören stetige Aufrüstung, Militäreinsätze, diskursive Kriegsvorbereitung und das ökonomische Niederringen anderer Staaten. Die Katastrophen der von uns beobachteten Kriege in der Ukraine und in Israel/Gaza haben bisher nicht zum Umdenken geführt, sondern den Eskalationskurs bestärkt. Auch hier müssen wir uns daran gewöhnen, uns zu wiederholen, bis wir mit klugen Analysen und Handlungsweisen durchdringen.

Kampf auf allen Ebenen

geschrieben von Thomas Willms

2. März 2024

Die AfD muss verboten werden – bevor es zu spät ist

Es kommen jetzt Monate, vielleicht Jahre, in denen es immer wieder um das »Pro« und das »Contra« zum AfD-Verbot gehen wird. Wer bei uns lange genug dabei ist, wird sich an die Jahre 2007 bis 2010 erinnern, als die VVN-BdA ihre Kampagne »No NPD – NPD-Verbot jetzt!« führte. Damals wie heute ist diese Fragestellung irreführend – für unseren Verband allemal, denn wir haben einen eigenen Blick auf das Thema, den uns die Verfolgten des NS-Regimes mitgegeben haben. Praktische, pragmatische und taktische Überlegungen gibt es und darf es auch geben – sie ändern aber nichts daran, dass für uns Neonazis, in welcher Verpackung auch immer sie auftreten, von vornherein keinen Anspruch auf Legitimität haben. Die Fragestellung ist aber auch deshalb irreführend, weil sie ein Entweder-Oder behauptet, das nicht -existiert. Gerade der VVN-BdA liegt nichts ferner, als die Ausschaltung des organisierten Neofaschismus an eine Behörde oder ein Gericht delegieren zu wollen. Jahrzehntelange Erfahrung mit dem Staat Bundesrepublik Deutschland und seinem Verhältnis gegenüber organisierten Neonazis stehen dem entgegen. Kampf auf allen Ebenen weiterlesen »

Feels like 2010?

geschrieben von Silvio Lang

2. März 2024

Proteste gegen geschichtsrevisionistische Naziaufmärsche im Februar in Dresden

2009 fand in Dresden am Jahrestag der Bombardierung der Stadt, dem 13. Februar, die damals größte Nazidemonstration Europas statt. Ohne wirksamen Widerspruch zu erfahren, zogen mehr als 6.000 Nazis durch die sächsische Metropole – darunter ein damals noch unbekannter Björn -Höcke.

Nur ein Jahr später hatte sich das Bild grundlegend gewandelt. Weil ein breites antifaschistisches Bündnis unter dem Namen »Nazifrei! Dresden stellt sich quer« (Dresden Nazifrei) sich gefunden und Blockaden organisiert hatte. Eine Erfolgsgeschichte antifaschistischen Wirkens. Feels like 2010? weiterlesen »

Nebelkerzenwerfen

geschrieben von Jens-Christian Wagner

2. März 2024

Höhenflug der AfD: Den Geschichtsrevisionismus nicht dulden! Gastkommentar von Jens-Christian Wagner

2024 könnte ein Schicksalsjahr werden. In Brandenburg, Thüringen und Sachsen stehen Landtagswahlen an, und erstmals könnte es der extrem rechten AfD gelingen, in einem Bundesland in Regierungsverantwortung zu gelangen. Insbesondere in Thüringen ist diese Gefahr virulent. Dort liegt die AfD derzeit in Wahlumfragen bei 36 Prozent. Wenn die FDP und die Grünen knapp die Fünfprozenthürde reißen, könnten gut 40 Prozent der Wähler:innenstimmen schon für eine absolute Mehrheit im Landtag reichen. Sehr weit sind Höcke und Co. davon nicht mehr entfernt. Nebelkerzenwerfen weiterlesen »

Say their Names

geschrieben von Andreas Siegmund-Schultze

2. März 2024

In Hanau und 60 weiteren Orten: Gedenken an rassistischen Terroranschlag 2020

8.000 Menschen sind am 17. Februar anlässlich des vierten Jahrestags des rassistischen Terroranschlags im hessischen Hanau auf die Straße gegangen. Sie gedachten bei der Demonstration mit bundesweiter Beteiligung der Ermordeten Ferhat Unvar, -Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin. In rund 60 weiteren Städten wurde am gleichen Wochenende daran erinnert, dass am 19. Februar 2020 ein 43jähriger Neo-nazi in Shishabars neun Menschen mit Migrationsgeschichte, dann seine Mutter Gabriele R. und sich selbst erschoss sowie sechs weitere verletzte.

In Hanau führten viele Demonstrant:innen Schilder mit den Gesichtern der Ermordeten mit sich, häufig gerufen wurde die Parole »Widerstand überall, Hanau war kein Einzelfall«. Präsent war auch der Slogan »Say their Names«. Say their Names weiterlesen »

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