Editorial

geschrieben von Nils Becker

13. Mai 2022

586 Abgeordnete des Bundestags haben kurz vor Drucklegung dafür gestimmt, nicht nur militärische Ausrüstung an die sich gegen die russische Invasion verteidigende Ukraine zu liefern, sondern über Drittländer auch schwere Waffen und komplexe Waffensysteme. Obwohl sich die Mehrheit der Bevölkerung, laut infratest-Umfrage, wieder gegen Panzerlieferungen ausspricht, verspürten die Verantwortlichen dennoch einen Zugzwang durch die eskalierende Debatte. Der faktische Kriegseintritt, der auch schon von anderen NATO-Staaten im kleineren Rahmen vollzogen wurde, soll zudem als ein solcher beim Gegner ankommen. SPD-Chef Lars Klingbeil will das Signal senden, dass »wir auf der richtigen Seite der Geschichte« stehen. Bei so viel prophetischem Wissen, müssen einem doch Zweifel kommen. Und diese Zweifel versuchen wir auch in dieser Ausgabe diskutierbar zu machen. Dazu braucht es nicht nur Hintergrundwissen über die Kriegsgründe, sondern auch Grundwerte. Das Spezial versucht den Spagat zwischen Aufklärung über den Aggressor Russland und der Frage, welchen Wert unsere antifaschistischen Standpunkte aktuell noch haben. Neben dem Krieg, und dessen Auswirkungen hierzulande, geht es in dieser Ausgabe wieder um den Verfassungsschutz. Dieser musste in Bayern gleich mehrere Schlappen hinnehmen. Zum einen wird aufgrund des vielfältigen Drucks die bayerische Landesvereinigung nicht mehr im VS-Bericht genannt, zum anderen stellte sich das neue bayerische Verfassungsschutzgesetz  als verfassungswidrig heraus (S. 4). Wir werden auch in Kriegszeiten wie gewohnt auf das gesellschaftlich Verdeckte und Verdrängte schauen. So blicken wir auf die Ausgrenzung der »Asozialen« unter den KZ-Opfern (S. 8/9) und deren aktuelle Schlechterstellung vor Gericht (S. 26). Besonders hervorzuheben ist das Interview mit Max Czollek (S. 33) zur Ausstellung über jüdische Rache in Frankfurt am Main, die wir allen Leser*innen empfehlen. Wir danken zudem allen Teilnehmenden unserer 75 Jahrfeier in Frankfurt – es war wirklich ein Fest (S. 12).