Zuviel und Zuwenig

geschrieben von Kristin Caspary

9. März 2023

Vor 70 Jahren wurde die VVN in der DDR verboten

Im Februar 1947 gründete sich in der Sowjetischen Besatzungszone die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Dem Gründungskongress vorangegangen waren Gründungen von VVN-Gruppen überall in Deutschland. Die Teilnehmer_innen, deren Zahl die 200 überstieg, teilten die Einsicht, dass es einer speziellen Organisierung derjenigen bedurfte, die Widerstand gegen den Naziterror geleistet hatten, die von faschistischen Schergen verfolgt und ausgegrenzt worden waren. Gleichzeitig bestand der Wunsch nach einem Interessenverband, der die verschiedenen Strömungen, seien sie politischer oder religiöser Natur, abbildete und von allen Besatzungsmächten gebilligt würde. Zentrales Gründungselement war daher auch die Kampfbereitschaft für Einheitlichkeit, sowohl der VVN als auch des deutschen Staates, dessen Teilung sich am fernen Horizont schon abzuzeichnen begann. Dieser Wunsch nach Einheitlichkeit wurde von den realpolitischen Ereignissen schnell zerrieben. Zuviel und Zuwenig weiterlesen »

Wegen Beihilfe …

geschrieben von Christian von Gélieu

9. März 2023

Die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen bleibt lückenhaft

Am 20. Dezember 2022 verurteilte das Landgericht Itzehoe Irmgard Furchner, ehemalige Sekretärin des KZ-Lagerkommandanten in Stutthof zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen. Bereits im Sommer 2022 hatte das Landgericht Neuruppin Josef Schuetz, einen früheren Wachmann des KZ Sachsenhausen, wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 3.500 Fällen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Damit zeichnet sich wohl das Ende der Aufarbeitung von NS-Verbrechen durch bundesdeutsche Gerichte ab. Eine Rechtsgeschichte, die lange Zeit durch die Weigerung, NS-Verbrechen überhaupt zu verfolgen, die Suche nach juristischer Entlastung der Täter*innen und geschickte Manipulation von Gesetzen gekennzeichnet war. Wegen Beihilfe … weiterlesen »

Der grüne und der schwarze Winkel

geschrieben von Nicole Kaczmarek

9. März 2023

Zur Gründungsversammlung des »Verbandes für das Erinnern an die verleugneten Opfer im NS«

Aufgrund verschiedener öffentlicher Aufrufe von Frank Nonnenmacher (u. a. antifa vom Mai/Juni 2022 und Januar/Februar 2023) trafen sich am 21./22. Januar 2023 35 Betroffene in Nürnberg, um den »Verband der Verleugneten« zu gründen. Ich war dort, zusammen mit vier anderen VVN-Mitgliedern, die ich aber vorher nicht kannte, und möchte über meine Eindrücke berichten.

Ich bin selbst Nachkomme einer sogenannten Asozialen Familie. Meine Urgroßeltern väterlicherseits hatten zehn Kinder, darunter meine Oma Ruth. Alle wurden, spätestens im Nazismus, komplett auseinander gerissen. Meine Urgroßmutter wurde schließlich 1940 ins KZ Ravensbrück deportiert, mein Urgroßvater nach Sachsenhausen und sechs weitere KZs. Ihre Kinder wurden zwangsweise auf Bauernhöfen (zum Arbeiten), in Erziehungsanstalten und Gefängnissen/Jugendgefängnissen untergebracht. Beide Elternteile überlebten. Drei ihrer Kinder starben im Krieg. Nach 1945 hörte ihre Stigmatisierung nicht auf. Das Gift der Nazis wurde bis in meine Generation hinein weitergegeben. Der grüne und der schwarze Winkel weiterlesen »

Überlieferung ermöglichen

geschrieben von Mecki und Julia Hartung

9. März 2023

Archivsache: Zeitzeug:innen-Interviews auf Audiokassetten

Ein relevanter Teil der Bestände im VVN-BdA-Archiv in Hannover besteht aus Zeitzeug:innen-Interviews. Diese befinden sich nicht nur auf Papier, sondern auch auf Audiokassetten. Allerdings sind diese Informationsträger sehr unterschiedlich lange haltbar: Während ein schriftlich festgehaltenes Interview Jahrhunderte überdauern kann, beträgt die durchschnittliche Haltbarkeit und damit Nutzbarkeit von Audiokassetten etwa 40 Jahre. Danach droht eine sogenannte Datenkorruption. Das bedeutet, dass die auf dem Magnetband gespeicherten Interviews nicht mehr abgespielt werden können. Dieses Phänomen ist vielen Leser:innen sicher auch aus dem privaten Bereich bekannt. Es empfiehlt sich deshalb, die Audios rechtzeitig auf »langzeitarchivierungsstabile« Informationsträger zu überspielen. Der Sprecher:innenkreis der VVN-BdA in Niedersachsen hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Projekt zur Datensicherung im Archiv durchzuführen. Überlieferung ermöglichen weiterlesen »

Bisher kaum Konsequenzen

geschrieben von Cornelia Kerth

9. März 2023

Zum Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus, der im Juni 2021 erschien

Die Arbeit der Kommission

Im März 2019 berief der damalige Innenminister Horst Seehofer auf Beschluss des Bundestags eine »Unabhängige Kommission Antiziganismus« aus Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen und beauftragte sie, den Antiziganismus in der Bundesrepublik »als eine spezifische Form von Rassismus umfassend zu untersuchen, um Strategien zu seiner Überwindung zu entwickeln«.

Im Juni 2021 hat die Kommission ihren Bericht mit dem Titel »Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation« vorgelegt, in der Öffentlichkeit wird dieser Meilenstein der Befassung mit dem Antiziganismus in Deutschland noch kaum wahrgenommen, auch in der Politik ist die Resonanz bisher bescheiden. Bisher kaum Konsequenzen weiterlesen »

Man spricht immer von Teilhabe …

9. März 2023

Ein Gespräch mit Arnold Weiß vom Landesverein der Sinti in Hamburg e. V.

antifa: Der Landesverein der Sinti in Hamburg e.V. besteht nunmehr seit 1999. Wollen Sie uns bitte berichten, was Schwerpunkte der Organisation sind?

Arnold Weiß: Schwerpunkt unserer Arbeit ist, eine Stimme für die Minderheit der Sinti:zze und Rom:nja hier in Hamburg zu sein, als Verein haben wir da mehr politisches Gehör. Das ist gesellschaftlich gerade auch für die Vermittlung dessen, was in der Vergangenheit passiert ist, wichtig. Mein Vater hat im Jahr 1999 den Verein ins Leben gerufen, und wir führen ihn weiter. Wir vermitteln Wissen über das Unrecht, das im Holocaust geschehen konnte, bis hin zu dem, wie heute in Deutschland eine Spaltung der Gesellschaft – auch am Beispiel des Umgangs mit Sinti:zze und Rom:nja – vonstattengeht. Zudem sorgen wir natürlich auch für Hilfe innerhalb der Community selbst. Man spricht immer von Teilhabe … weiterlesen »

Statt eines Nachrufs

geschrieben von Kurt Nelhiebel

9. März 2023

Zum Tod des Anwalts und Autors Heinrich Hannover (1925–2023)

Es dauerte eine Weile, bis wir uns auf einen Termin geeinigt hatten. Das lag nicht an anderweitigen Verpflichtungen und auch nicht an der Entfernung. Von Bremen aus ist man mit dem Auto in knapp einer Stunde in Worpswede, dem postalischen Wohnort von Heinrich Hannover. In Wirklichkeit wohnte er ziemlich weit draußen auf dem Lande in der Nähe des Teufelsmoores, wo sich Fuchs und Hase »Gute Nacht« sagen und nur noch Feldwege weiterführen in die Landschaft mit dem fernen Horizont.

Mit Hilfe von Satellitenaufnahmen hatte ich mir eine Fahrtroute zurechtgelegt, die sich bei näherer Betrachtung als nicht sonderlich empfehlenswert erwies und von Heinrich Hannover rundweg verworfen wurde. Ich hatte sie ihm per E-Mail beschrieben, und er antwortete darauf mit einer handschriftlich angefertigten Wegeskizze. Sie führte mich problemlos und überraschend schnell ans Ziel, über mir ein blauer Maihimmel mit dicken weißen Wolken, ein Himmel, so hoch und so weit, wie er nur hier anzutreffen ist. Statt eines Nachrufs weiterlesen »

Nach dem Reichstagsbrand

geschrieben von Ulrich Schneider

9. März 2023

Der Weg ins Dritte Reich (Teil 4)

Mit der Ernennung der Regierung Hitler–Hugenberg–von Papen am 30. Januar 1933 waren die Weichen für die Etablierung der faschistischen Herrschaft gestellt.

Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte mit den ersten Notverordnungen zum »Schutz des deutschen Volkes« den Weg frei gemacht für Versammlungsverbote, Zeitungsverbote und die Verhaftung politischer Gegner. Am 4. Februar wurden der Reichstag und die preußischen Kommunalparlamente aufgelöst und Neuwahlen für Anfang März 1933 angekündigt. Bis dahin agierte die Hitler-Regierung ohne parlamentarische Kontrolle. Nach dem Reichstagsbrand weiterlesen »

Gesinnungsprognose

geschrieben von Michael Csaszkoczy

9. März 2023

Zu 90 Jahren »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«

»… bietet nicht die Gewähr, jederzeit voll einzutreten für …« – diese Formulierung rückte anlässlich des 50. Jahrestages des Radikalenerlasses wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein. Weniger bekannt: Sie stammt aus einem Nazigesetz.

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 machten sich die Nazis umgehend an den Umbau des Staates zu einer Diktatur, auch wenn die Weimarer Verfassung formal in Kraft blieb. Als entscheidende Schritte auf diesem Weg gelten die »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat« (»Reichstagsbrandverordnung«) vom 28. Februar 1933 und das »Ermächtigungsgesetz« vom 24. März 1933. Kurz danach folgte das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«, das sich sowohl gegen Jüdinnen und Juden als auch gegen politische GegnerInnen richtete. Es wurde am 7. April 1933 verabschiedet und ohne parlamentarische Erörterung im Kabinett verkündet. Gesinnungsprognose weiterlesen »

Schutz der Republik

geschrieben von Gerald Netzl

9. März 2023

Gründung des Republikanischen Schutzbunds vor 100 Jahren

Im Februar 1924 wurde in Magdeburg das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gegründet, im Juli 1924 in Halle/Saale der Rote Frontkämpferbund. Bereits ein Jahr zuvor war im kleinen Nachbarland Österreich der Republikanische Schutzbund als proletarische Selbstschutzorganisation geschaffen worden. Schutz der Republik weiterlesen »

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