Die Gleichschaltung

geschrieben von Ulrich Schneider

29. April 2023

Schaffung kriegsbereiter »Volksgemeinschaft«: Der Weg zur Macht (Teil 5 u. Ende)

Nach Notverordnungen und Selbstentmachtung des Parlaments in der Weimarer Republik ging es im nächsten Schritt darum, die ideologische und politische Gleichschaltung der Gesellschaft durchzusetzen. Die Schaffung einer kriegsbereiten »Volksgemeinschaft« setzte voraus, dass die ideologischen Vorgaben auch von der Bevölkerung angenommen wurden. Eine zentrale Rolle spielte dabei das Reichspropagandaministerium unter Goebbels. Hier wurden nicht nur öffentliche Inszenierungen gesteuert, sondern auch die mediale Darstellung durch Pressebriefings vereinheitlicht. Nach dem Verbot der Arbeiterpresse wurden Zeitungen und Rundfunk seit dem 1. Juli 1933 auf täglichen Reichspressekonferenzen detaillierte Anweisungen für die Berichterstattung gegeben. Die Gleichschaltung weiterlesen »

Stichtag der Barbarei

geschrieben von Janka Kluge

29. April 2023

Zuerst brannten die Bücher: Zum 10. Mai 1933 in Nazideutschland

Am 10. Mai 1933 fand eine der ersten Propagandainszenierungen im NS-Staat statt. Bei den in 18 Universitätsstädten organisierten Bücherverbrennungen stand nicht Hitler im Vordergrund, sondern Goebbels. Berichte wurden in der »Wochenschau« in den Kinos und im Radio übertragen. In einer Ankündigung hieß es: »Die Hinrichtung des Ungeistes wird sich zur selben Stunde in allen Hochschulstädten Deutschlands vollziehen. In einer großen Staffelreportage zwischen 11 und 12 Uhr nachts wird gleichzeitig der Deutschlandsender ihren Verlauf (…) mitteilen.« In der Ankündigung wird bewusst auf eine andere Bücherverbrennung Bezug genommen. Beim Wartburgfest 1817 wurden preußische Polizeiverordnungen und zusammengebundenes Papier, auf dem die Namen einiger Schriftsteller standen, verbrannt. In der Ankündigung zur Radiosendung wurde darauf verwiesen: »Und heute steht abermals das Gericht über sie auf, und abermals schichtet der deutsche Bursch ihnen das Feuer der Vernichtung.« Der 1933 vor den Nazis nach Frankreich geflohene jüdische Jurist und Schriftsteller Alfred Kantorowicz nannte die Bücherverbrennung den »Stichtag der Barbarei«. Stichtag der Barbarei weiterlesen »

Systematisch ausgeplündert

geschrieben von Henning Bleyl

29. April 2023

Bremen: »Arisierungs«-Mahnmal zum Raub an jüdischer Bevölkerung im NS-Staat

Der Fokus des Mahnmals liegt auf der besonderen Rolle Bremens als Hafen- und Logistikstandort bei der »Verwertung« jüdischen Eigentums. Diese beruht zum Teil auf der erzwungenen Massenauswanderung jüdischer Familien über Bremerhaven. Insbesondere profitierte Bremen jedoch durch den Abtransport jüdischen Besitzes aus den besetzten Ländern Westeuropas (»Aktion M«). Maßgeblich beteiligt war der Speditionskonzern Kühne + Nagel, dessen Firmenjubiläum 2015 zum Auslöser einer von der taz initiierten Mahnmaldebatte wurde.

Kühne + Nagel bemühte sich erfolgreich um eine zentrale Rolle beim Abtransport jüdischen Eigentums, sowohl im Rahmen der »Aktion M« als auch in den südeuropäischen Hafenstädten. Die Internationalisierung der Firma erfolgte somit in den Fußstapfen der Wehrmacht: Das Netz von Niederlassungen in den eroberten Ländern diente als logistische Grundlage der Beraubung, parallel entwickelte das Unternehmen das Geschäftsfeld der Militärlogistik – in dem es bis heute eine führende Rolle spielt. Mit anderen Worten: Der wirtschaftliche Erfolg von Kühne + Nagel resultiert auch aus seiner Verwicklung in die Verbrechen Nazideutschlands. Systematisch ausgeplündert weiterlesen »

Abrechnung mit einem Mythos

geschrieben von Maurice Schuhmann

29. April 2023

Francesco Filippi korrigiert das Bild des italienischen Faschisten Benito Mussolini

Benito Mussolini, der italienische »Duce«, erfährt nach wie vor eine Mystifizierung und erhält einen teilweise auf Fehlinformationen beruhenden Persilschein. Mehr noch als in Deutschland, wo Ewiggestrige mit Sätzen wie »es war nicht alles schlecht, was Adolf Hitler tat. Er hat zum Beispiel die Autobahn gebaut« den nationalsozialistischen Terror relativieren, wird auch in Italien der Faschist Mussolini nach wie vor positiv umgedeutet. Die Mythen reichen von der Darstellung eines arbeiterfreundlichen Politikers, der das Kurzarbeitergeld einführte, über den »Feministen« Mussolini, auf den das Frauenwahlrecht zurückging, bis zum Bild des Beschützers von Jüd_innen und Muslim_innen. Diese Mythen sind nicht nur einfach falsch, sondern auch gefährlich. Nach wie vor haben seine Anhänger_innen, die diese Mythen verbreiten und zum Teil sicherlich selbst auch glauben, einen gewissen politischen Einfluss und treten in Form der (post-)faschistischen Partei Fratelli d’Italia immer noch selbst bei den Wahlen an. Im Mai steht der nächste Urnengang im Land an – und es wird sich zeigen, inwieweit die Italiener_innen Parteien aus jenem Spektrum ihr Vertrauen aussprechen.

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Nicht mal mehr eine Fassade

geschrieben von Jürgen Weber

29. April 2023

EU: Hohe Haftstrafen für Geflüchtete und Helfende auf dem Mittelmeer

Nicht im öffentlichen Fokus stehen beispielsweise Strafprozesse gegen Geflüchtete in Griechenland und Italien. Weil sie am Motor der Schlauch-boote saßen, wurden Schutzsuchende in Schnellverfahren zu drakonischen Strafen von oft über 100 Jahren Gefängnis verurteilt und inhaftiert. Das klingt unglaublich, ist aber vielfach belegt.

Wöchentlich finden solche Prozesse in Italien und Griechenland statt, nach Erhebungen der NGOs »Aegean Migrant Solidarity« und »borderline–europe« dauern diese Gerichtsverfahren durchschnittlich 38 Minuten und enden für die Angeklagten mit durchschnittlich 44 Jahren Haft. Die NGOs zählen mehrere Tausend inhaftierte Geflüchtete, die als »Schleuser« in den beiden EU-Ländern wie Schwerkriminelle einsitzen. Nicht mal mehr eine Fassade weiterlesen »

Demokratie oder Rebellion

geschrieben von Warda Morzi

29. April 2023

Die Antiregierungsproteste in Israel zur Verteidigung des Rechtsstaats

Es ist zehn Uhr abends in Israels Kleinstadt Karkur am 10. April, dem zweiten-Pessach-Vorabend. Gesänge durchbrechen die Stille. Nach und nach füllt sich eine Kreuzung mit Menschen und Landesfahnen. Plötzlich schreit jemand in ein Megafon: »Busha, busha, busha« (hebräisch für »Schande, Schande, Schande«), andere wiederholen es. Der nächste prominente Ruf ist »Demokratie oder Rebellion«; enthalten ist eine Drohung: Wir sind nicht damit einverstanden, in einer Nicht-Demokratie zu leben. Wir werden rebellieren. Demokratie oder Rebellion weiterlesen »

Umkämpftes Feld

geschrieben von Sebastian Schröder

29. April 2023

»Iftach el bab!« (»Tür auf!«): Meron Mendels Buch »Über Israel reden«

Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, hat mit »Über Israel reden. Eine deutsche Debatte« einen gewichtigen Beitrag zu eben dieser Diskussion vorgelegt. Der israelisch-deutsche Historiker und Pädagoge hat das Ziel, ein »Plädoyer für Versachlichung und Differenzierung in einem umkämpften Feld, in dem sich Geschichte und Gegenwart sowie Real- und Moralpolitik vermischen« zu formulieren. Leider wird er diesem Anspruch nur in zwei von vier Kapiteln gerecht. Umkämpftes Feld weiterlesen »

Bitte keinen Krach

geschrieben von Juliet Schnabel

29. April 2023

Das Buch »Massenradikalisierung«: Von der Mitte, für die Mitte, über die Mitte

In ihrem neuen Buch »Massenradikalisierung« präsentiert Julia Ebner einen Überblick zu aktuellen rechten Entwicklungen – oft so ausführlich, dass die Lektüre für gut informierte Antifas ermüdend wirken kann. Sie stellt anschaulich ideologische Verbindungen der verschiedenen Bewegungen dar, von Incels über »white supremacists« bis hin zu Klimawandelleugner:innen und QAnon. An einer radikalen Analyse scheitert Ebner – vermutlich, um dem Vorwurf einer linken Positionierung vorzubeugen. Und so schreibt sie von, für und über die Mitte, ohne diese zu definieren.

Konfrontiert mit linken Positionen verwehrt sich die Autorin trotz offensichtlicher Sympathien einer Solidarisierung. So stellt Ebner dar, warum »Black Lives Matter« irgendwie schon recht hat – um kurz darauf zu mahnen, dass deren Aktivismus zu einer Polarisierung führe, die das Risiko eines rechten Backlashes und eines Zerreißens der Mitte berge. Implizit klingt der Ratschlag durch, beim Aufstehen gegen die eigene Unterdrückung bitte nicht allzuviel Krach zu machen. Eine Gesellschaft, die auf Ausbeutung aufgebaut ist, braucht jedoch revolutionäre Bewegungen und keine apathische Mitte. Abolitionist:innen und Suffragetten galten zu ihrer Zeit ebenfalls als radikal und spalterisch, und ihre Kämpfe waren weder leise noch unblutig. Bitte keinen Krach weiterlesen »

Zeugnis ablegen

geschrieben von Gerald Netzl

29. April 2023

Zwei Veröffentlichungen zu Erinnerungen aus den KZs

Der österreichische Schriftsteller Helmut Rizy hat in den beiden Bänden »Überleben – um Zeugnis abzulegen« aus gut 200 KZ-Erfahrungsberichten (z. B. aus Romanen, Tagebüchern usw.) Passagen entnommen und mit großem Wissen, Geschick und Einfühlung zusammengestellt. Herausgekommen ist ein Werk, das ein umfassendes Bild vom Leben in den KZs, aber auch danach, abgibt. Oftmals liest man Ergänzendes, wo an anderer Stelle vielleicht Fragen offengeblieben sind. Manches stößt einem auf, wie die Hierarchien (entlang der Nationalitäten oder der Religionen), wird aber an anderer Stelle wieder relativiert. Die Essays zeigen auch auf, wie entscheidend die Intentionen der Verfasser*innen waren. Wann und für wen wurde Zeugnis abgelegt? Gleich nach der Befreiung, oder erst als die Kinder und Enkelkinder danach gefragt haben? Zeugnis ablegen weiterlesen »

Naturaneignung

geschrieben von Nils Becker

29. April 2023

Klimakrise als möglicher faschistischer Mobilmacher

Als am 15. März 2019 im neuseeländischen Christchurch der Rechtsterrorist Brenton Tarrant zwei Moscheen angriff und dabei 51 Menschen tötete, bezeichnete er seine Tat als »ökofaschistisch«. Er wolle eine natürliche Ordnung – die Vorherrschaft und »Reinheit der weißen Rasse« – wiederherstellen. Sein Verständnis von Ökologie ist nicht auf die Umwelt und den Ressourcenverbrauch bezogen, sondern auf den demografischen Wandel. Er geht damit auf den rassistischen Diskurs einer vermeintlichen Überbevölkerung (»Der große Austausch«) ein, in dem behauptet wird, dass der Klimawandel durch brutale Geburtenkontrolle in den ärmeren Ländern des globalen Südens aufzuhalten sei, statt die ökologischen Folgen des westlichen Wirtschafts- und Lebensmodells (also meist des eigenen) als Problem anzuerkennen. Gleichzeitig wird die Natur von Rechten mystisch-spirituell aufgeladen, mit einem eigenen Willen ausgestattet (»der Planet wehrt sich«), und Naturkatastrophen werden als unabwendbare Versuche, ein »natürliches Gleichgewicht« wiederherzustellen, dargestellt. Die Maßnahmen, die die unterschiedlichsten rechten Strömungen gegen den Klimawandel vorschlagen, führen so von den tatsächlichen Ursachen weg, sind oft rassistisch begründet und auf politischem Weg (aktuell zumindest) nicht durchsetzbar, weshalb eben von manchen zu den Waffen gegriffen wird. Naturaneignung weiterlesen »

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