»Der Satz ist mehr als eine Lüge«

4. Juli 2024

Die NS-Devise »Arbeit macht frei«. Ein Gespräch mit Nikolas Lelle

antifa: Du hast jüngst den Band »›Arbeit macht frei‹. Annäherungen an eine NS-Devise« im Berliner Verbrecher Verlag veröffentlicht. Wie entstand die Idee dazu?

Nikolas Lelle: Ich habe mich schon in meinem vorherigen Buch »Arbeit, Dienst und Führung. Der Nationalsozialismus und sein Erbe« mit dem Topos deutsche Arbeit und der Behauptung beschäftigt, es gäbe eine ganz besondere Beziehung von Deutschen zur Arbeit. Ich hatte mir das vor allem unter dem Gesichtspunkt angeschaut, wie das die Nazis für sich nutzten, radikalisierten und damit Politik machten. In der Beschäftigung mit diesem Buch habe ich gemerkt, dass über diese KZ-Devise »Arbeit macht frei« wenig nachgedacht wird und es kaum Veröffentlichungen dazu gibt. Diese Lücke will ich mit dem Buch schließen und eine ganz spezifische Interpretation liefern, die sagt, der Satz ist mehr als eine KZ-Devise, nämlich eine nationalsozialistische Devise. »Der Satz ist mehr als eine Lüge« weiterlesen »

Für die Nachwelt

geschrieben von Janka Kluge

4. Juli 2024

»Wichtiger als unser Leben«: Band zum Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos

Das NS-Dokumentationszentrum München hat gemeinsam mit dem in Warschau angesiedelten Jüdischen Historischen Institut Emanuel Ringelblum eine Ausstellung zum Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos erstellt. In München war die Ausstellung bis Januar zu sehen, derzeit ist nicht absehbar, ob sie noch in anderen deutschen Städten Station machen wird. Zur Schau ist jedoch ein kleines Buch »Wichtiger als unser Leben« entstanden.

Geheimes Ziel

Das Buch eignet sich außergewöhnlich gut als Einführung in das Ringelblum-Archiv des Warschauer Ghettos. Emmanuel Ringelblum war ein Historiker und Pädagoge. In seinem in Jiddisch verfassten Tagebuch hatte er täglich notiert, was aus seiner Sicht im Ghetto geschehen ist und was neu ins Ghetto verschleppte Jüdinnen und Juden berichtet haben. Bereits kurz nach der Errichtung des Ghettos gründete er eine Organisation, die im Geheimen mit dem Ziel wirkte, die Ereignisse im Ghetto für die Nachwelt zu dokumentieren. Der Gruppe »Oneg Schabbat« (Freude am Sabbat) gehörten zeitweise über ein Dutzend Menschen an. Die Mitglieder der Gruppe arbeiteten in der »Jüdischen Sozialen Selbsthilfe«. Hier wurden die Hilfsleistungen für tausende jüdische Menschen organisiert. Viele der Mitglieder kannten sich bereits von früher. Sie waren in der Poale-Zion-Linkspartei oder der Yehudiyah-Schule, an der Ringelblum unterrichtete. Für die Nachwelt weiterlesen »

Ein Gesicht geben

geschrieben von Eva Petermann

4. Juli 2024

Forschungsarbeit über Nürnberger NS-Zwangsarbeiterkinder und das Schicksal ihrer Mütter erschienen

Dass Kinder die Hauptleidtragenden eines Krieges sind, wird gern verdrängt. In einer exemplarischen Forschungsarbeit über Nürnberger Zwangsarbeiterkinder im Zweiten Weltkrieg und das Schicksal ihrer Mütter – und, soweit möglich, ihrer Väter – geht Gabi Müller-Ballin den Spuren von 400 Kindern nach. Die Diplompolitologin legt in diesem Buch biografische Daten von 321 Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern vor.

Zu ihnen gehören die im Titel genannten: Andreas, Sohn einer jungen Polin, das Mädchen Lubov, Tochter einer Landarbeiterin aus der Ukraine, und Baby Jacques, dessen Mutter Französin ist. Die drei Namen verweisen überdies auf die von der Wehrmacht okkupierten Länder, aus denen planmäßig Arbeitssklaven für die Industrie Nazideutschlands deportiert wurden. Quasi nebenbei erhalten wir also einen beklemmenden Eindruck von der zeitweise schier grenzenlosen Ausdehnung der Besatzung und wichtige Hinweise auf den jeweiligen Kriegsverlauf. Seit Jahrzehnten forscht die Autorin (Jahrgang 1954) über NS-Verbrechen in Nürnberg. Ein Gesicht geben weiterlesen »

»Ob dieser Inspiration«

4. Juli 2024

»Begegnungen« mit Erich Mühsam. Ein Gespräch mit Isabel Neuenfeldt

antifa: Du bist seit 20 Jahren auf literarisch-musikalischen Veranstaltungen zum Wirken von Erich Mühsam zu hören. Wie kam es dazu?

Isabel Neuenfeldt: Vielleicht beginne ich erst mal damit, wo Mühsam überhaupt keine Rolle spielte: Als junger Mensch hatte ich von Erich Mühsam gar nichts gehört. Im Deutsch- und Geschichtsunterricht hatte er in meiner Schullaufbahn keinerlei Erwähnung gefunden – dieser große Dichter, Schriftsteller und Kämpfer für die Menschlichkeit.

Anfang der 1990er, noch ganz frisch in Berlin und auf Wohnungssuche, war ich dann mal ganz unbedarft zu einer Besichtigung in die Friedrichshainer Mühsamstraße geradelt. Noch immer war »mühsam« für mich nur ein Adjektiv. An der Ecke Sorgestraße erschien mir der Kiez doch recht trostlos. Zu meiner Entschuldigung kann ich anfügen: Damals gab es noch nicht die erläuternden Schildchen unterhalb der Straßennamen an den Ecken. »Ob dieser Inspiration« weiterlesen »

Kein »Bien venuta«

geschrieben von Axel Holz

4. Juli 2024

Rocco Artale: Vom Arbeitsmigranten zum Ehrenbürger

Fast 13.000 sogenannte italienische Gastarbeiter wurden zu Beginn der 1960er-Jahre auf Basis eines deutschen Anwerbeabkommens mit Italien als Arbeitskräfte für die VW-Werke in der BRD rekrutiert. Es folgten tausende weitere Arbeitsmigranten, aber nur etwa 3.000 der insgesamt 34.600 Italiener blieben bis 1975 in Wolfsburg. Was war schiefgelaufen bei der Arbeitskräfteanwerbung?

Auch heute in Debatten aktuell

Darüber berichtet der ehemalige »Gastarbeiter« Rocco Artale in seiner Biografie, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Wolfsburger Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation. Die Erfahrungen, die er gesammelt hat, spielen auch in der heutigen Migrationsdebatte eine Rolle – sowohl die damaligen Fehler als auch die positiven Integrationsbestrebungen in Wolfsburg. »Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen«, kommentierte Max Frisch die Arbeitsmigration seit Beginn der 1960er-Jahre. Kein »Bien venuta« weiterlesen »

Wohin jetzt?

geschrieben von Benet Lehmann

4. Juli 2024

Vorabdruck des Kapitels »Sieben Frauen« aus »Esthers Spuren«

Das Paket schnürt Esther in die Schulter, sie ist müde. In den letzten Nächten hat sie kaum geschlafen. Der Fliegeralarm, ausgelöst durch die Bomber der Alliierten, hat ihr keine Ruhe gelassen. Weil die Sirenen unerträglich laut sind. Weil sie ankündigen, dass die Front näher rückt. Weil das alles bedeutet, dass die Deutschen den Krieg verlieren. Esther kann ihre Freude darüber kaum verbergen.

Sie setzt einen Fuß vor den anderen, vor und hinter ihr läuft die Kolonne, an der Seite die SS. Anfangs sind sie noch in Reihen gegangen, jetzt drängt sich alles. Auf mehrere hundert Meter erkennt sie die Kolonnen aus Gefangenen in gestreifter Kleidung. Wie viele Menschen in Ravensbrück inhaftiert waren, realisiert sie erst jetzt. Ein Gefühl der Ohnmacht durchdringt sie, steigt von ihren Füßen bis zu ihrem Kopf auf.

Von Osten naht die Rote Armee, von Westen die U. S. Army. Panik bricht unter den SS-Wachmannschaften aus. Sie vernichten die Beweise ihrer Taten und folgen Himmlers Befehl, die Lager zu »evakuieren«. Ein Euphemismus, der sich nach Rettung anhört, in der Realität aber den Tod für abertausende Menschen in den letzten Kriegstagen bedeutet. Das geplante Massenmorden des nationalsozialistischen Deutschlands ist zu diesem Zeitpunkt bereits vorbei. Doch wer hinfällt, wer nicht mehr laufen kann, wird erschossen. Die Wachen haben die Art des Tötens an die Begebenheiten angepasst. Wohin jetzt? weiterlesen »

Flucht nach vorn

geschrieben von Selina Arthur

4. Juli 2024

Plädoyer für Antifaschist:innen: Solidarität, die Sorge füreinander als politisches Programm

Die Ergebnisse der Europa- und Kommunalwahlen sind bitter – mancherorts liegt die AfD bei 40 Prozent, andernorts hat sie mehr Sitze gewonnen, als sie überhaupt KandidatInnen aufgestellt hatte. Trotz desaströser Wahlkampagne ein Erfolg auf ganzer Linie für die Rechten. Nun kann man sich als Linke:r unterschiedlich trösten. Absolut notwendig ist vor allem, sich von den Zyniker:innen fernzuhalten. Auch exzessives Selbstmitleid ist mit Vorsicht zu genießen. Im Großen und Ganzen hilft, was immer gegen gebrochene Herzen hilft: Sich von Social Media fernhalten und der Wahrheit ins Auge sehen.

Seit Jahrzehnten macht die politische Linke der breiten Bevölkerung Avancen, Angebote und Liebesschwüre. Doch die macht lieber mit irgendwelchen menschenfeindlichen Brutalos gemeinsame Sache, die sich für ihre politischen und wirtschaftlichen Belange nicht die Bohne interessieren. Da kann man noch so laut fordern, dass es weniger trans Menschen auf der Welt geben soll (Sahra Wagenknecht), noch so viele Abschiebungen durchsetzen (Olaf Scholz), gegen das Original von rechts kommt man nicht so leicht an. Flucht nach vorn weiterlesen »

Suche nach Antworten

geschrieben von Peps Gutsche

4. Juli 2024

Bombenattentate in Südtirol und die frühe Bundesrepublik

Wie ist es, den verstorbenen Vater als Rechtsterroristen kennenzulernen? Wie konnte dieser wie weitere Täter straffrei bleiben? Und welche Rolle spielte die DDR in der Thematisierung rechter Gewaltakte in Südtirol?

Traudl Bünger begibt sich in ihrem Buch akribisch auf die Suche nach Antworten und begegnet dem titelgebenden »Eisernen Schweigen« ihres Vaters mit einer vierjährigen Archivrecherche, bei der sie auch den Verhandlungsunwillen der damaligen Bundesrepublik in den Blick nimmt.

Entstanden ist dabei ein Buch, das zwei Zeitstränge verfolgt und diese immer wieder miteinander verbindet: zum einen die Recherche, die mit dem Fund von zu Zeitzündern präparierten Taschenuhren und einer Ausgabe von »Die Auschwitzlüge« auf dem Dachboden 2019 beginnt und dem Papierpfad mit über 60.000 Seiten Akten, Zeugenbefragungen, Polizeiermittlungen und Behördenkorrespondenzen durch Deutschland, Österreich und Italien bis in das Jahr 2023 folgt. Zum anderen die Entwicklung des Chemiestudenten Heinrich Bünger, der 1957 gemeinsam mit seinem Bruder Fritz den Bund Nationaler Studenten gründete und mehrere Bombenattentate in Südtirol plante und durchführte. Bei einem davon stirbt am 20. Oktober 1962 Gaspare E. in Verona. Suche nach Antworten weiterlesen »

Hilfe für Gefährdete

geschrieben von Cornelia Nenz, geb. Lettow

4. Juli 2024

»Arzt in den Höllen«: Zur Geschichte eines Buchs des Widerstandskämpfers Fritz Lettow

»Another SS-man at Buchenwald who was responsible for many deaths and in fact was commonly known as ›Killer of Buchenwald‹ is: SS-Hauptsturmführer Eisele (…). He was feared by all the prisoners. He (…) selected strong healthy men, took them to the hospital and gave them injektions which killed them.«1

So eine Passage in dem Protokoll der Aussage von Dr. Fritz Leo vom 5. Juni 1945 vor britischen Militärs in Bergen-Belsen.

In seinen Erinnerungen »Arzt in den Höllen« liest sich die Charakteristik nicht anders: »Dr. Eisele machte sich ein Vergnügen daraus, kräftige Kerle (…) von der Lagerstraße weg ins Revier zu holen und sie mit einer Spritze zu erledigen …« Hilfe für Gefährdete weiterlesen »

Ausgabe Mai/Juni 2024

27. April 2024

Unser Titelbild zeigt das diesjährige Gedenken am Berliner Denkmal für die im ¬Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas am 8. April, dem Internationalen Tag der Roma. Foto: Bernd Sauer-Diete

Unser Titelbild zeigt das diesjährige Gedenken am Berliner Denkmal für die im ¬Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas am 8. April, dem Internationalen Tag der Roma. Foto: Bernd Sauer-Diete

Editorial (Nils Becker)

Zeitgeschehen

Ins Stocken geraten: Gelingt der AfD ein weiterer Aufstieg? (Gerd Wiegel)

»Strategische Partner«: EU und Ägypten mit Abkommen zur Migrationsabwehr (Nils Becker)

Gewerkschaftliche Arbeit gegen den Rechtsruck. Ein Gespräch mit Christian Meyer, IG Metall Berlin

Die Strukturreform der Bundeswehr ist in vollem Gange (Martin Kirsch)

Höcke steht vor Gericht. Unterstützung gibt’s vom X-Guru Elon Musk (Janka Kluge)

Sichtbarkeit schaffen: Am 8. April begingen Sinti und Roma den Internationalen Tag der Roma

Neues im Verfahren zwischen sächsischer VVN-BdA und Hentschke Bau (Silvio Lang)

Der Pfingstkongress des Coburger Convents. Ein Gespräch mit der Initiative »Studentische Verbindungen auflösen«

Meldungen

Über Unterstützung von linkem Engagement in Ostdeutschland. Ein Gespräch mit Polylux e. V.

Konstanzer VVN-BdA punktet durch sichtbare Bündnisarbeit (Jürgen Weber)

Zivilklauseln überall! Unverkrampft für Frieden forschen (Chris Hüppmeier)

Aufruf zum 8. Mai vom Hamburger Bündnis »8. Mai. Tag der Befreiung«

Aus den Archiven

Wertvolle Schätze: Orden und Ehrenzeichen in Archiven der VVN (Ulrich Schneider)

Portrait

Eine standhafte Frau: Regina Elsner ist tot (Silvio Lang)

Am 20. Februar ist Ilse Jacob in Hamburg verstorben (Christiane und Georg Chodinski)

Spezial

Antifaschismus ist Humanismus in Aktion – Leitantrag zum VVN-BdA-Bundeskongress am 1./2. Juni in Halle an der Saale

Wie Erinnerungen bewahren? Gedanken vor dem Bundeskongress der VVN-BdA (Regina Girod)

Geschichte

Die Republik verteidigen: Vor 100 Jahren wurde das Reichsbanner gegründet (Gerald Netzl)

Vor 75 Jahren: Das Grundgesetz wird verabschiedet (Bernd Kant)

Internationales

Liebäugeln mit Trump: Kann die US-Demokratie den faschistischen Möchtegerndiktator überleben? (Juliet Schnabel)

Extreme Rechte stoppen! Neofaschisten und die Europawahlen (Ulrich Schneider)

Kultur

Ihr lebt weiter – zwei Erzählungen von Betroffenen des rechten Terroranschlags in Hanau (Denise Torres)

Rechte und Publizistik: Große Handelsunternehmen entdecken nicht freiwillig ihr demokratisches Gewissen (Else Laudan und Lisa Mangold)

Wie wir Diskriminierung von Menschen mit Behinderung abbauen können (Peps Gutsche)

Botschaft der Solidarität – zum Tod von Stefan Jerzy Zweig, 1941–2024 (Ulrich Schneider)

Ulrich Schneiders neues Buch über »Arbeiterwiderstand im Dritten Reich« (Ulrich Stuwe)

Helge Döhrings Buch zum Anarchosyndikalismus zwischen 1933 und 1945 in Deutschland (Peter Nowak)

Verblüffende Kontinuität: Ein Buch über die BRD-Bundespräsidenten und deren Nazivergangenheiten (Harry Friebel)

Der Film »The Zone of Interest« beschreibt das Familienleben des Auschwitzkommandanten Höß (Axel Holz)

Florence Hervé über europäische Frauen im Widerstand gegen Nazis und Krieg (Maria Krüger)

Wie kam die NSDAP als einstige Splitterorganisation innerhalb weniger Jahre an die Macht? (Jakob Knab)

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