Ausgabe März/April 2023

geschrieben von Nils Becker

9. März 2023

Am 22.Februar entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es keine neuen Ermittlungen wegen des Todes von -Oury Jalloh geben wird. Er war 2005 in einer Dessauer Polizeizelle, gefesselt an Händen und Füßen, verbrannt. Die Umstände bleiben weiterhin ungeklärt. Das Bild zeigt die diesjährige Demonstration an seinem Todestag 7. Januar (Foto: Umbruch-Bildarchiv)

Am 22.Februar entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es keine neuen Ermittlungen wegen des Todes von -Oury Jalloh geben wird. Er war 2005 in einer Dessauer Polizeizelle, gefesselt an Händen und Füßen, verbrannt. Die Umstände bleiben weiterhin ungeklärt. Das Bild zeigt die diesjährige Demonstration an seinem Todestag 7. Januar (Foto: Umbruch-Bildarchiv)

Hauptthema dieser Ausgabe sind die lange Zeit verleugneten Opfer des NS, deren späte Anerkennung und die Konsequenzen, die daraus gezogen wurden (S. 3, S. 15, S. 32). Denn auch das Wissen darum, wie Diskriminierung und Verachtung nach 1945 fortlebt, sorgt noch nicht für die Beseitigung. Exemplarisch wird das in unserem Spezial deutlich, das sich mit dem vor eineinhalb Jahren erschienenen Antiziganismusbericht beschäftigt.

Zweites drängendes Thema ist der Ukrainekrieg. Ein Jahr dauert der nun schon, und die Opfer gehen in die Hunderttausenden (genaue Zahlen kennt niemand). Betroffen sind Millionen. Dass das gestoppt werden muss, ist allen klar. Aber zu welchen Bedingungen und mit welchen langfristigen Folgen – das scheint nicht so eindeutig. Eine nie dagewesene Uneinigkeit, hat auch unseren Verband erfasst. Was wir aktuell tun können, ist den Diskussionen dazu einen konstruktiven Rahmen zu geben. Das geschieht lokal auf Veranstaltungen (z. B. im Länderteil nachzulesen), auf einer internen Friedenskonferenz und auf größeren Online-Veranstaltungen, die sehr viele Menschen erreichen können. Einigkeit besteht darin, dass wir uns als VVN an friedenspolitischen Protesten beteiligen, die sich klar gegen rechts abgrenzen. Dass diese Abgrenzung funktionieren kann, zeigten jüngst die Demonstrationen gegen die »Münchner Sicherheitskonferenz«.

1933, das Jahr der Machtübergabe, ist 90 Jahre her. Auch darüber gibt es mehr zu sagen. Mehrere Beiträge beleuchten Einzelaspekte und wie diese Geschichte in all ihren Facetten (z. B. S. 13 zur bis heute nicht abschließend erfolgten juristischen Aufarbeitung) noch vermittelbar ist. Eine Ahung davon zu haben, wie es zur Durchsetzung des Faschismus in Deutschland kam – ist eine Notwendigkeit, um dem »Nie wieder« Rechnung tragen zu können. Die aktuellen Bedrohungen von rechts entsprechend analysieren und einordnen zu können, ist die eine Seite dieses Kampfes, zu der wir gern Hilfestellung geben. Dagegen dann aber auch gemeinsam aktiv zu werden, ist eine andere. Auch darüber muss mehr und intensiver gesprochen werden.

Inhalt

Zeitgeschehen
Niemanden auslassen – Erinnerung an queere NS-Opfer im Bundestag (Janka Kluge)
Rechtsterror bleibt unbestraft (Ferat Koçak)
In der Fläche verankert – Neonazistrukturen in Mecklenburg-Vorpommern (Interview von Axel Holz mit Mitch Dailey, RAA)
Divers aufstellen – Zur Erinnerungskultur in der postmigrantischen Gesellschaft (Interview von Maxi Schneider mit Denise Torres, VVN-BdA)
Kräfteverhältnisse verschoben – drei Jahre nach dem Attentat in Hanau (Saadet Sönmez)
Dem Frieden zugewandt? – Wie »dieBasis« versucht, neue Themen zu besetzen (Ulrich Peters)
In Richtung Finanzierung – Verfassungsgericht urteilt zur Desiderius-Erasmus-Stiftung (Gerd Wiegel)
Antisemitismus blüht mit Hilfe der Justiz (Bernadette und Joachim Gottschalk)
Meldungen (Ulrich Stuwe)
Rechtsterrorismus benennen – Zum versuchten Anschlag an einer Essener Schule (Paul Schmittker)
Zuviel und Zuwenig – Vor 70 Jahren wurde die VVN in der DDR verboten (Kristin Caspary)
Wegen Beihilfe … – Die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen bleibt lückenhaft (Christian von Gélieu)
Der grüne und der schwarze Winkel – Zur Gründungsversammlung des »Verbandes für das Erinnern an die verleugneten Opfer im NS« (Nicole Kaczmarek)

Aus den Archiven
Überlieferung ermöglichen – Archivsache: Zeitzeug:innen-Interviews auf Audiokassetten (Mecki und Julia Hartung)

Spezial
Bisher kaum Konsequenzen – Zum Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus, der im Juni 2021 erschien (Cornelia Kerth)
Man spricht immer von Teilhabe … (Interview von Andreas Siegmund-Schultze mit Arnold Weiß, Landesverein der Sinti in Hamburg e. V.)

Porträt
Statt eines Nachrufs – Zum Tod des Anwalts und Autors Heinrich Hannover, 1925–2023 (Kurt Nelhiebel)

Geschichte
Nach dem Reichstagsbrand – Der Weg ins Dritte Reich, Teil 4 (Ulrich Schneider)
Gesinnungsprognose – Zu 90 Jahren »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« (Michael Csaszkoczy)
Schutz der Republik – Gründung des Republikanischen Schutzbunds vor 100 Jahren (Gerald Netzl)

Internationales
Offene Diskriminierung – Polnischer Antisemitismus in den 1920er- und 1930er-Jahren (Anna Styczyńska)
Ersatzveranstaltungen – NS-verherrlichende Gedenkveranstaltungen in Budapest und Sofia (Florian Gutsche)
Festung Österreich – Wie sich auch in der Alpenrepublik der Rassismus breit macht (Heide Hammer/Diana Leah Mosser)

Kultur
Objekte der Forschung – Die Verbände der Überlebenden des NS werden immer interessanter (Ulrich Schneider)
Esthers Vermächtnis – Ihr letzte Interview gab sie zwei Studenten (Janka Kluge)
Vertrauen zerstören (Interview von Nils Becker mit Reiner Schneider von der Kampagne Entnazifizierung.Jetzt)
Piratin mit rotem Winkel – Eine Doku über zwei Frauen, die sich im KZ Ravensbrück lieben lernten (Hannah Geiger)
Pfadabhängigkeiten – Über den Paradigmenwechsel in der deutschen Rüstungsindustrie (Sebastian Schröder)
Darüber Sprechen – In einem Antifa-Jugendroman geht es vor allem um das Kommunizieren (Markus Roth)
Imaginierte Gefahr – Im Eliten-Diskurs geht die Angst um, gecanceld zu werden (Peps Gutsche)
Faschismus und Struktur – Sammelband zum 70. Geburtstag von Volkmar Wölk (Christian Meyer)