Historiker streiten – nicht alle. Sammelband versucht Argumente nachzuvollziehen
»Konflikte und polemische Debatten überall: das Humboldt-Forum und koloniale Beutekunst; die Umbenennung der M-Straße; einhundertfünfzig Jahre Deutsches Kaiserreich; Achille Mbembe, Holocaust und Kolonialismus, die Deutschen mit ›Nazihintergrund‹ und nicht zu vergessen die Machenschaften der Hohenzollern. So unterschiedlich die Debatten im Einzelnen sind, immer wird dabei die Deutung der NS-Zeit oder des Kolonialismus mitverhandelt; häufiger sogar beides.« So beschreibt der Historiker Sebastian Conrad im Buch »Historiker streiten« den Hintergrund der Debatte um die Einzigartigkeit des Holocaust; hier sind vorwiegend Beiträge einer Tagung im Einstein-Forum in Potsdam vom Oktober 2021 veröffentlicht.
Die unter dem Begriff »Zweiter Historikerstreit« (und auch in der antifa-November-/Dezemberausgabe verschiedentlich sichtbar) geführte Debatte, dreht sich im wesentlichen um den Aufsatz »Der Katechismus der Deutschen« von Dirk Moses. Im Sammelband führt Moses nochmals seine provokanten Thesen aus, mit Erläuterungen der Vorgeschichte und der späteren Diskussion. Michael Wildt konstatiert »Konfusion« in der Debatte, aber das Buch ermöglicht es den Lesenden mit einigem Aufwand, die Argumente beider Seiten des Neuen Historikerstreites nachzuvollziehen. »Konfusion« in der Debatte weiterlesen »
Sehr diverse Weltanschauung und Kultur: Zwei ABG-Bände zu Antifaschismus
Dieser Beitrag ist in der Print-Ausgabe der antifa in einer gekürzten Fassung erschienen
»Wissen Sie, wir haben alles unternommen, um diese heranrollende Woge von Unmenschlichkeit und Zerstörung zu brechen«, sagte die weltberühmte Fotografin Gisèle Freund einmal in der Rückschau auf ihre Zeit bei einer der »Roten Studentengruppen« in den frühen 1930er Jahren. Der Beitrag zu diesen antifaschistischen Gruppen, die sich angesichts der zunehmenden Gewalt und Präsenz von Nazistudierenden und brauner Straßengewalt auch außerhalb der Unis bildeten, gehört aus mehreren Gründen zu den elektrisierendsten Aufsätzen der beiden Hefte der Zeitschrift für historische Studien Arbeit – Bewegung – Geschichte (ABG). Man liest ihn atemlos und voll Bewunderung für diese entschlossenen jungen Studierenden, die es vermochten, politische Gräben zu überwinden und sich den immer gewalttätiger auftretenden Nazis auch körperlich entgegenzustellen. Diese Gruppen bestanden zum einen ja aus jungen Menschen eher bürgerlicher Herkunft (z. B. Klaus Gysi, Golo Mann, Richard Löwenthal), und zum anderen waren 34 Prozent der etwa 500 Mitglieder Frauen. Zerstörung brechen weiterlesen »
Ein optimistisches Menschenbild angesichts von Krieg und Krise
100.000.000.000 Euro für die Rüstung und Rekordgewinne bei Rheinmetall und Co. Eilmeldungen und breite Berichterstattung über einen Krieg. Öffentliche Zustimmung. Steht dies im Gegensatz zu Annahmen über die Menschen, die linke Politik jahrelang trugen: Menschen stehen Kriegen ablehnend gegenüber, sie verletzen und töten nicht gerne, denn Menschen sind im Grunde gut? Überwindung der Probleme? weiterlesen »
Die Résistance-Kämpferin Anne Beaumanoir in Heldinnenleben am Schauspiel Hannover
Das Werk von Anne Weber1 über das Leben und Wirken von Anne Beaumanoir in Form eines Epos wurde hier bereits ausführlich gewürdigt.2 Nun hatte aber das Schauspiel Hannover in seiner letzten Spielzeit das Heldinnenleben auf der Grundlage von Webers Text in einfühlsamer Weise auf die Bühne gebracht. Das Schauspiel Stuttgart folgte mit einer eigenen Inszenierung, die dann u. a. im Feuilleton der SZ am 7. November 2022 besprochen wurde. Der Titel der Aufführungen in Hannover und Stuttgart lautete »Annette, ein Heldinnenepos«. Mythos und Epos weiterlesen »
Reihe, die Aufmerksamkeit verdient: »Bibliothek der polnischen Holocaustliteratur«
Die »Bibliothek der polnischen Holocaustliteratur« ist eine auf zehn Bände angelegte Reihe, die an der Arbeitsstelle Holocaustliteratur erarbeitet und im Wallstein Verlag herausgegeben wird. In der Reihe, die herausragende polnische Werke (teils in Neuauflagen bereits existierender Übersetzungen, teils in Erstübersetzungen) vorstellt, werden u. a. erscheinen: Leopold Buczkowski »Der schwarze Bach«, Henryk Grynberg »Kinder Zions«, Arnold Mostowicz »Der blinde Max oder Passierschein durch den Styx« und Mina Tomkiewicz »Von Bomben und Mäusen«. Wertvoller Lesestoff weiterlesen »
Antirassistische und marxistische Bewegungen sollten voneinander lernen
In den letzten Jahren haben sich in der Debatte über Rassismus neue Worte und Positionen herausgebildet. Dazu gehört auch der Begriff Intersektionalität. In dem von Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbo veröffentlichen Sammelband »Die Diversität der Ausbeutung« spielt die Kritik an der Intersek-tionalität eine wichtige Rolle. Die beiden Herausgeberinnen haben in dem Buch auch einen zentralen Text dazu veröffentlicht. Das Konzept der Intersektionalität besagt, dass Menschen oft nicht nur wegen einer Eigenschaft diskriminiert und unterdrückt werden. Hervorgehoben sei hier, dass der Begriff »Eigenschaft« in dem Zusammenhang ungenau ist. Wie divers ist Ausbeutung? weiterlesen »
Über die deutsche Kommunistin Elise Ewert ist eine Biografie erschienen
Elise Ewert (1886–1939), von ihren Freunden und Genossen liebevoll Sabo genannt, war die Frau an der Seite von Arthur Ewert (1890–1959), der in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren ein wichtiger und zeitweise einflussreicher Spitzenfunk-tionär der KPD und der Kommunistischen Internationale (KI) war. Doch zu keinem Zeitpunkt ihres nur kurzen Lebens konnte Zweifel daran bestehen, dass Sabo eine eigenständige schöpferische Persönlichkeit war, für die die jahrzehntelange enge und vertrauensvolle Partnerschaft stets eine wesentliche Voraussetzung der eigenen Entwicklung war, doch niemals eine Beschränkung. Durch Höhen und Tiefen weiterlesen »
Ein Band zur italienischen Resistenza und der Sozialistin Joyce Lussu
Bewegende Berichte aus der Resistenza lieferte das bereits 1945 in Italien veröffentlichte Buch »Fronti e Frontiere«. Christa Kofler hat es verdienstvollerweise über 75 Jahre später in deutscher Übersetzung unter dem Titel »Weite Wege in die Freiheit – Erinnerungen an die Resistenza« im österreichischen Mandelbaum-Verlag herausgegeben. In dem Band berichtet die Sozialistin Joyce Lussu, geboren 1912 als Gioconda Beatrice Salvadori, von den Erlebnissen italienischer Widerstandskämpfer*innen der Organisation »Giustizia e Libertà«, die ab 1929 äußert verstreut auf dem europäischen Kontinent wirkten. Beschreibung hautnah weiterlesen »
Manja Präkels neuer Essayband verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Manja Präkels hat mit ihrem Roman »Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß« und als Mitherausgeberin von »Vorsicht Volk!« den literarischen Scheinwerfer auf rechte, rassistische sowie verschwörungsideologische Proteste und die letzten Züge der DDR gerichtet. Nun hat sie einen neuen Essayband verfasst. Dieser besticht durch die Vielzahl an Textarten und Themen. Lockdown und Provinz weiterlesen »
Schweden und Italien sind nun also mehr oder weniger rechts regiert. Mit der Mobilisierung von Angst und »exkludierender Solidarität« lassen sich bei gleichzeitiger Demobilisierung und (meist selbst verschuldeter) Zersplitterung fortschrittlicher Kräfte Wahlen sicher gewinnen. Soweit bekannt und wieder bewiesen. Nicht gerade neu sind auch die Strategien, die dagegen helfen: eine Bündnispolitik, die in der politischen Verschiedenheit der antifaschistisch Gesinnten die Stärken und nicht die Streitpotentiale erkennt. Allgemein anwendbar dürfte der Merksatz von Thomas Willms auf Seite 3 sein: Die Rechte regiert nicht erst, wenn sie mehr als 50 Prozent der Wähler*innenstimmen hinter sich versammelt hat, sondern wenn es keinen organisierten Widerstand gegen sie mehr gibt und daraufhin die konformistische Mitte kollabiert. Auf letzteres gibt es hierzulande überhaupt keine Antwort. Die Schüchternheit, antifaschistische und internationalistische Positionen zu aktuelle Krisen zu vertreten, hängt vor allem mit der Fehlinterpretation des öffentlichen Diskurses und einem nie dagewesenen Opportunismus (z. B. bei den Grünen) zusammen. Wir freuen uns deshalb über mehrere Beiträge aus Italien (Seiten 5, 23 und 25) und über den Beitrag von Julian Pahlke (für die Grünen im Bundestag).
Ein weiterer Schwerpunkt dieser antifa-Nummer ist der sogenannte Historikerstreit 2.0 (Seiten 13, 14, 28, 29 und 32), in dem es um die Frage geht, ob die Herausgehobenheit des Holocaust womöglich den Blick z. B. auf koloniales Unrecht verstellt. Wenn wir versuchen, das nicht als Disput wahrzunehmen, sondern, wie Charlotte Wiedemann vorschlägt, Bemühungen unternehmen, den Schmerz der andern zu begreifen und Gemeinsamkeiten in den Traumata zu erkennen, kommen wir dem näher, was mit multidirektionaler Erinnerung auch in antifa immer mal wieder Thema ist. Der dritte Schwerpunkt ist das Spezial zu rechten Subkulturen im Internet. Damit wollen wir in der Diskussion zur Prävention von rechtem Terror, der uns als Amoklauf von Einzeltätern präsentiert wird, weiterkommen.